In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten
habe ich jemanden kennengelernt …« Er lächelte und schüttelte leicht den Kopf, als amüsierte ihn die eigene Torheit. » Damals, gleich nach dem College, wohnte ich noch in Telemark und hatte meine erste Stelle als Lehrer«, fuhr er fort. » Wir waren nicht lang zusammen – eigentlich nur ein paar Wochen, und wir waren beide jung. Ich wollte mit ihr zusammen sein, war aber zu dumm und verstand nicht …« Er warf mir einen eigenartigen, fast fragenden Blick zu, wobei ich mich daran erinnerte, was ich schon einmal über ihn gedacht hatte – daran, dass er begonnen hatte, Geschichten zu sammeln, weil er Menschen verwirrend fand und die Geschichten es ihm ermöglichten, ihr seltsames Treiben in einem größeren Zusammenhang zu sehen. » Ich war – grausam«, sagte er. » Und sie verließ mich. Sie ging nach Amerika … Nach Wisconsin. Was ich damals ungeheuer exotisch fand. Ich versuchte, sie mir dort vorzustellen, hatte Bilder im Kopf von verschneiten Wäldern und endlosen Straßen, die quer durch Amerika führten, und ich wollte ihr nachfahren … aber ich habe es nie getan.«
Wieder huschte das traurige Lächeln über sein Gesicht, aber ich schwieg. Als einen grausamen Menschen konnte ich ihn mir nicht vorstellen. Ich fürchte, ich habe ihn all die Zeit in einem anderen Licht gesehen, nicht gerade als Opfer, doch als jemanden, der in gewissem Maß unter dem Kummer oder zumindest der Enttäuschung litt, von Mutter etwas zu wollen, was sie ihm verständlicherweise nicht geben konnte. Mit anderen Worten: als einen Freier. Als jemanden, der auf die ihm eigene Weise auch empfänglich war. » Und jetzt?«, fragte ich.
Er erwiderte meinen Blick; seine Miene war ernst, aber ich merkte ihm an, dass er – Hoffnung hegte. Die hatte ich nie zuvor an ihm bemerkt, und im selben Moment ging mir auf, dass ich stets angenommen hatte, er zöge es vor, ohne Hoffnung zu leben. » Ein wirklich unglaublicher Zufall«, sagte er, » dass wir uns wiedergetroffen haben. Sie zog nach Bergen zurück, um dort zu leben, und … na ja …« Er lächelte – vor allem über sich selbst. » Wir wollen einen Versuch wagen. Wir sind ja noch ganz am Anfang, und …« Sein Gesichtsausdruck wurde wieder ernst. » Ich brauche eine Veränderung.«
» Ich verstehe.« Ich war von ihm enttäuscht und konnte dem Impuls, ihn meine Enttäuschung merken zu lassen, nicht widerstehen. » Dabei habe ich immer geglaubt, Sie seien in Mutter verliebt.«
Er betrachtete mich mit einem traurigen, irgendwie vorwurfsvollen Blick, so als hätte ich ihn gerade mit etwas geschlagen. » Ach«, sagte er. » Nun – das stimmt ja auch, denke ich. Wenn auch nicht so, wie Sie es sich vielleicht vorstellen. Ich glaube, wir sind alle in sie verliebt, jeder auf seine Weise, aber … wenn sie zu einem von uns käme und sagte, in Ordnung, ich heirate dich … ich hoffe, Sie nehmen mir das nicht übel …«
» Warum sollte ich?«
Er überlegte einen Moment, dann beschloss er, dem Gedankenstrang nicht weiter zu folgen. Stattdessen hielt er mir das Kästchen hin und wartete darauf, dass ich es annahm. » Das ist für sie«, sagte er. » Ein Abschiedsgeschenk – und auch ein Dankeschön.«
Ich nahm es. » Wollen Sie es ihr nicht selbst geben?«, fragte ich. » Sie ist sicher bald zurück.«
Er schüttelte den Kopf. » Ich glaube nicht, dass ich das kann.«
» Warum nicht?«
Er lächelte wieder. » Erst habe ich gefürchtet, ich könnte es nicht erklären, aber dann wurde mir klar, dass ich es gar nicht brauchte, weil sie nicht fragen würde.« Er schaute mir in die Augen, um zu sehen, ob ich wirklich verstand, was er sagen wollte – und er muss eine zufriedenstellende Antwort gefunden haben, denn sonst hätte er nicht weitergeredet. Er wäre gegangen und hätte uns verlassen, damit wir ihn vergaßen. » Ihre Mutter ist ein erstaunlicher Mensch«, fuhr er fort. » Zweifellos eine große Künstlerin und auch eine große Seele. Man könnte sogar sagen, sie mache ihrem Namen alle Ehre. Doch je engelhafter jemand wird, desto weniger Platz gibt es für das bloß Menschliche, und ich …« Er dachte kurz nach, obwohl er wusste, was er sagen wollte. Er wusste es und spürte, er hatte ein Recht dazu, trotzdem glaube ich, dass er sich wünschte, es wäre nicht wahr. » Ich für meinen Teil«, sagte er, » finde das bloß Menschliche etwas weniger … schwierig …«
Ich nickte. Ich verstand, was er sagen wollte, und dachte deshalb nicht schlechter über ihn, wollte ihn aber
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