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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burnside
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…«
    Er schüttelte den Kopf. » Vielleicht haben Sie recht, und es war kein Zufall.« Er musterte mein Gesicht, während er über das nachdachte, was er gerade geantwortet hatte. Ich wusste nicht, warum, aber ihm war es offensichtlich wichtig, das, was er zu sagen hatte, möglichst präzise und eindeutig vorzubringen. » Nein, es war kein Zufall, aber die Huldra war es auch nicht. Jedenfalls nicht in dem Sinne, was Kyrre unter Huldra versteht. Die Huldra ist eine Idee und keine Person, kein Ungeheuer. Damit ist nur gemeint, dass die Jungen … empfänglich waren.« Er schwieg und wiegte den Kopf. Er war mit sich unzufrieden, da er nicht die richtigen Worte fand. » Sie waren zu empfänglich für die Welt um sich herum«, fuhr er fort. » Das waren sie vielleicht schon immer, aber in der letzten Zeit hatte sich etwas verändert …«
    » Was meinen Sie mit empfänglic h ?«, fragte ich. » Empfänglich für was?«
    Wieder schüttelte er den Kopf. » Ich weiß nicht«, antwortete er, » aber die alten Leute hätten gesagt, der empfängliche Mensch fühlt sich dazu hingezogen, weil er Sachen will, an die er nicht einmal denken sollte. Ein Mann geht aus und sucht jemanden – er sucht jemanden, den er lieben kann, will aber nicht irgendwen. Er will jemand Besonderen, jemand – Unnatürlichen. Keine gewöhnliche Frau genügt ihm – und wenn er der Huldra begegnet, sieht er, dass sie schön ist. Ja, er verliebt sich in dieses schöne Mädchen, obwohl er bereits weiß, dass sie etwas anderes ist, er fühlt sich zu diesem anderen hingezogen. Nicht von dem, was sie hinter ihrem Rücken verbirgt, nicht von dem Tier – das nicht –, sondern von der geheimnisvollen Kreatur, die er in ihr sieht …«
    » Und sie ist unwiderstehlich …«
    » Ja, aber nur, weil er mit ihr unter einer Decke steckt. Er könnte sie sehen, wie sie wirklich ist, könnte die Illusion aufdecken, aber er will nicht …«
    » Warum nicht?«
    » Weil er dann die Illusion zerstört. Und das gibt der Huldra ihre Macht – sie ist die Bewahrerin der Illusion …«
    » Ich dachte, Sie hätten gesagt, es sei nicht die Huldra gewesen.«
    » Sie war’s auch nicht«, sagte er. » Jedenfalls nicht so. Nicht, wie Kyrre sie sich vorstellt …«
    » Woher wollen Sie wissen, was Kyrre sich vorstellt?«
    » Ich weiß es«, sagte er und schien über meine Frage fast ein wenig verärgert, was mich überraschte, weil ich ihn nie zuvor verärgert erlebt hatte. Eigentlich hatte ich überhaupt noch nie erlebt, dass er irgendwelche Gefühle zeigte. » Die Huldra ist eine Idee«, wiederholte er. » Früher wussten die Menschen das. Und weil sie es wussten, konnten sie sich diese Geschichte erzählen. Sie glaubten in Wahrheit nämlich nicht daran, dass Frauen mit Kuhschwänzen durch das Land zogen und junge Männer in den Tod lockten. Dafür glaubten sie durchaus, dass Menschen …« Er dachte einen Moment nach.
    » Empfänglich waren?«
    Er schaute mich an , und sein Ärger verflog. Er lächelte. » Genau«, sagte er und klang in diesem Moment genau wie Kyrre Opdahl.
    Schweigend blieben wir noch einen Moment sitzen. Ich merkte ihm an, wie unzufrieden er mit sich war, weil er seinen Ärger gezeigt hatte; außerdem überlegte er gerade, wie er das Thema zur Sprache bringen konnte, dessentwegen er hergekommen war, weshalb ich es angebracht fand, ihm ein wenig unter die Arme zu greifen. » Und?«, fragte ich. » Was gibt’s bei Ihnen Neues?«
    Einen Moment sah er verblüfft auf, dann lächelte er – diesmal ein wenig traurig, wie ich fand. » Schwer zu sagen«, erwiderte er. » Ich komme schon so lang in dieses Haus; ich weiß, es wird mir fehlen …« Wieder griff er nach dem Kästchen, das er auf den Tisch gestellt hatte, als ich ihm Kaffee einschenkte. » Ich ziehe fort«, sagte er. » Fange neu an … beginne noch mal von vorn.«
    » Wo?«
    » In Bergen.«
    » Das kommt plötzlich«, sagte ich. » Und dabei habe ich immer gedacht, Sie lieben den Norden …«
    » Tue ich auch. Mir hat die Zeit hier gefallen, aber …« Er überlegte einige Sekunden, ehe er mit dem nächsten Teil seiner Geschichte herausrückte. Ich glaube, Mutter hätte er diesen Teil nicht erzählt, aber mir konnte er ihn erzählen, weil er mich für neutral hielt – außerdem war nicht zu übersehen, dass er seine Geschichte unbedingt loswerden wollte. » Ist schon seltsam, wie sich die Dinge entwickeln«, sagte er. » Damit hätte ich nie gerechnet, aber … Na ja, vor Jahren, als ich noch jung war,

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