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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burnside
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nicht willst.«
    Ich schüttelte den Kopf. » Nicht alle sind so wie du.«
    Sie lachte. » Was soll das denn heißen?«
    Einen Moment lang sagte ich kein Wort. Sie hatte mich nicht nach meinem Vater gefragt, hatte es mir überlassen, ihr zur angemessenen Zeit zu erzählen, was ich erzählen wollte, und nichts anderes hatte ich von ihr erwartet. Sie hatte nicht einmal wissen wollen, ob die Anrufe nun aufhörten. » Er ist gestorben«, sagte ich.
    Sie reagierte nicht sofort, auch wenn ich ihr anmerkte, dass sie die Information verarbeitete. Dann legte sie die Gabel hin und schaute mich an. » Tut mir leid.«
    » Muss es nicht. Schließlich war er für mich ein Fremder.« Ich überlegte, was jetzt wohl in ihr vorging – denn auch wenn sie keine Gefühle zeigte, musste sie doch irgendwas empfinden. Immerhin hatte sie den Mann gekannt, den Kate Thompson mir beschrieb, ich nicht. » Ich habe ihn nicht mal gesehen«, sagte ich. » Er starb, bevor ich eintraf.«
    » Ach.« Sie legte ihre Hand über meine. » Alles in Ordnung?«
    Ich nickte. » Natürlich. Wie gesagt, ich habe ihn nie kennengelernt.«
    Sie musterte kurz mein Gesicht, zog dann die Hand zurück und lehnte sich nach hinten. » Nun«, sagte sie, » das ist – schade.«
    » Wirklich?«
    » Ja, ich glaube, er war ein guter Mensch. Und er hat seine Arbeit geliebt …«
    » Hast du ihn deshalb nicht geheiratet? Wegen seiner Arbeit?«
    Sie antwortete nicht sofort, und ich sah ihr an, dass meine Frage sie verblüffte. » Geheiratet?«, fragte sie. » Ach nein … ans Heiraten habe ich nie gedacht.«
    » Warum nicht?«
    Sie schwieg einen Moment und machte ein, zwei Sekunden lang den Eindruck eines Menschen, der im Kopf eine einfache und ziemlich vertraute Rechenaufgabe löst. » Ich wollte ihn nicht«, sagte sie. Und während ich darauf wartete, dass sie noch etwas hinzufügte, nickte sie erneut und sagte noch einmal: » Ich wollte ihn nicht.«
    » Und hat er dich gewollt?«
    » Ich weiß nicht«, sagte sie. » Die Frage ist gar nicht aufgekommen. Ich wollte ihn nicht, weil ich überhaupt niemanden wollte. Dafür gibt es keine Erklärung. Diese Art zu leben wollte ich einfach nicht.«
    Dies war das Ende unserer Unterhaltung, aber ich dachte noch darüber nach, als sie ins Atelier ging und ich auf mein Zimmer, um mir Bildbände anzusehen. Nur war ich müde und muss wohl bald eingeschlafen sein. Gegen zehn, vielleicht auch später, wurde ich wieder wach und blickte aus dem Fenster über die Wiesen, dorthin, wo schon etwas begonnen hatte – eine Geschichte, die nicht zu der mir bekannten, sondern zu einer fremden Welt gehörte, zu einem Ort, an dem eine andere Logik herrschte –, und was ich an jenem Abend sah, war wohl nur der letzte Akt einer langen Reihe von Ereignissen, einer Abfolge von Worten, Blicken und Momenten des Schweigens, die so unausweichlich wie unerklärlich zu jener Szene führten, deren Zeugin ich zufällig und zu meinem Leidwesen kurz nach dem Aufwachen wurde. Nicht dass ich mir je dessen sicher sein konnte, was ich wirklich an jenem Abend gesehen hatte. Als ich aufstand, war ich noch vom Schlaf benommen, trat ans Fenster, und alles, was später geschah, schien meiner Version der Ereignisse zu widersprechen, dennoch habe ich gesehen, was ich sah. Ich habe es mir nicht bloß eingebildet, und ich bin nicht verrückt. Letzteres würde ich nur zu gern glauben, wenn ich könnte, wäre es doch immerhin eine Erklärung für etwas, was ansonsten ohne Erklärung bleibt. An jenem Abend aber sah ich, was ich sah, und ich sah auch später, was ich sah, als die Huldra ihr letztes Opfer forderte; ich kann es nicht forterklären, so gern ich es auch möchte. Es ist unmöglich.
    Ich hatte nicht schlafen wollen und erinnerte mich auch nicht, mich angezogen aufs Bett gelegt zu haben. Außerdem kommt es mir heute merkwürdig vor, dass ich nach dem Aufwachen als Erstes das Fernglas vom Tisch nahm und zur Hytte hinübersah, nur weiß ich, dass ich ebendies getan habe, obwohl ich doch schon einige Zeit zuvor ein für alle Mal entschieden hatte, dass mich Martin Crosbies banale Romanze langweilte. Ich nahm also das Fernglas und stellte es auf den Strand ein, fast aus reiner Gewohnheit, und ich entdeckte sie sofort, Martin und sein Mädchen, unten bei Kyrres Bootshaus. Sie hatten Kyrres Boot herausgeholt und schleppten es zum Wasser, was ich aber nicht beunruhigend fand, jedenfalls nicht gleich zu Beginn. Womöglich schlief ich noch halb – ich habe mir diese Frage

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