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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burnside
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nicht länger, verharrten wir wie erstarrt, jede überrascht von der Tatsache der Existenz der anderen in dieser Welt – und dann begann Maia sich auf eine Weise zu bewegen, die ich seltsam künstlich fand. Ihre Gesten wirkten eigenartig einstudiert, nur unter dem Gesichtspunkt ausgewählt, dass sie für die Ereignisse angemessen wirkten, obwohl sie auf offenkundigste Weise unangemessen waren. Maia gab sich nicht verzweifelt, weinte nicht, rannte uns auch nicht entgegen, als wir die Bühne betraten. Sie wirkte nicht einmal sonderlich verstört, wie es etwa ein Schauspieler in vergleichbarer Lage im Film gewesen wäre. Nein, sie war ruhig und sehr still, eine Stille, die man aber auch für die Folge eines Schocks hätte halten können, für benommenes Entsetzen, und das – dies dachte ich damals – war sehr clever von ihr, handelte es sich dabei doch um die wahrscheinlichste Reaktion für jemanden in ihrer Lage, deren Beziehung zu Martin Crosbie unklar und deren Anwesenheit hier eine Überraschung war. Als ich sie zuletzt durchs Fernglas sah, hatte sie mitten auf dem Rasen gestanden. Anschließend musste sie in Richtung Hytte gegangen sein. Jetzt machte sie allerdings einige Schritte in Richtung Strand, dahin zurück, wo das Boot im Wasser schaukelte und sich langsam um sich selbst drehte.
    Mutter folgte ihr. » Was ist passiert?« Sie wirkte ruhig, doch merkte ich ihr an, dass sie nicht recht wusste, was zu tun war. Erst als sie zum Boot hinüberschaute, kam ihr eine Ahnung, weshalb sie Maia am Arm nahm. » Ist jemand da draußen?«
    Maia drehte sich um und blickte ihr ins Gesicht, sagte aber nichts.
    Mutter schaute sich zu mir um. » Was hast du gesehen?« Ich versuchte zu antworten, bekam aber kein Wort über die Lippen, und ich nahm an, dies hing mit Maia zusammen, die sich von Mutter abgewandt hatte und mich wie gebannt anblickte. Mutter wartete darauf, dass ich etwas sagte, als ich aber den Mund nicht aufmachte, ging sie noch einige Schritte vor und blickte über das Wasser. Der Fjord lag reglos da, silbrig, sehr still. Mutter suchte das schimmernde Wasser ab, als könnte sie wen auch immer dort draußen allein durch die Kraft ihrer Aufmerksamkeit oder ihres Willens aus der Tiefe holen. Dann wandte sie sich wieder zu Maia um. » Was ist hier los?«, fragte sie, nun in etwas dringlicherem Ton.
    Maia schüttelte den Kopf wie jemand, der sich benommen fühlt und versucht, seine Gedanken zu ordnen, sagte aber immer noch nichts.
    » Haben Sie Hilfe geholt?«, fragte Mutter.
    Die junge Frau sah verwirrt drein – und einen Moment lang dachte ich, sie würde in Lachen ausbrechen, nicht in hysterisches Gelächter, sondern in das Lachen von jemandem, der die Verstellung zu lang aufrechterhalten hatte und nun nicht mehr konnte. Wieder schüttelte sie den Kopf.
    » Hier gibt es kein Telefon«, sagte ich. Eigentlich hatte ich nichts sagen wollen, und mich überlief ein hässlicher Schauder der Überraschung, fast, als wäre ich gegen meinen Willen zu etwas gezwungen worden. Ich sah Maia an. Ich glaubte ihr nicht. Ich wusste, sie spielte uns etwas vor, aber das war nicht der einzige Grund, warum ich auf Abstand hielt. Da war noch etwas, etwas, das ich heute nur Angst vor einer Infektion nennen kann. Lächerlich, ich weiß, aber mir kam sie irgendwie ansteckend vor. Womit ich nicht Krankheiten meine oder Viren. Vielleicht aber doch. Ein Virus. Eine Infektion des Willens.
    Mutter wandte sich um. » Kein Telefon?« Das schien sie zu ärgern, wenn auch nur einen Moment lang. Dann gab sie es mit uns auf und ging vor bis ans Wasser, den Blick aufs leere Boot gerichtet. » Was ist hier passiert?«, fragte sie noch einmal. Ihre Stimme klang jetzt aber misstrauisch, da irgendwas nicht zu stimmen schien.
    Ich ging zu ihr hin, und mein Blick wanderte immer noch suchend über das Wasser. Ich rechnete nicht damit, etwas Neues zu entdecken, erwartete nicht, dass Martin Crosbie plötzlich im Wasser auftauchte und wild mit den Armen fuchtelte. Ich ging zu ihr hin, weil ich nicht allein zurückbleiben wollte, so nah bei Maia – nicht, weil ich mich vor dem fürchtete, was sie mir antun könnte, sondern weil ich nicht wollte, dass sie mich ansah. Heute begreife ich, wie lächerlich das war – selbst damals habe ich das bereits geahnt –, trotzdem ängstigte ich mich vor ihr. Ich hatte Angst, sie könnte mich ansehen, während Mutter mir den Rücken zukehrte, könnte mir ins Gesicht lachen oder etwas sagen, um zu beweisen, dass sie um

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