In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten
noch zu sehen gewesen war, sich in Luft auflöste. Ich sage, in Luft auflöste, weil es mir genau so vorkam. Eigentlich glitt er nicht aus dem Boot ins Wasser – zumindest habe ich das nicht gesehen, und mir war auch nicht so, als wäre das passiert –, vielmehr verschwand er schlicht und einfach, ausgelöscht von einem grauen Licht, das die Oberfläche des Wassers und die Luft über dem Boot ununterscheidbar machte. Martin war dort gewesen; ich hatte gesehen, wie er die Hand hob, so, als wollte er winken, und als ich wegblickte, weil ich neugierig war, wie Maia darauf reagierte, musste er mit dieser seltsamen, verzückten Miene im Wasser verschwunden sein; verzückt, glücklich, so kam es mir durchs Fernglas vor, und vielleicht war es auch dieser Blick, der mich fortschauen ließ, dieser Anschein von Glück, der zu grauenhaft war, ihn mit ansehen zu müssen. Schließlich habe ich mich nicht weggedreht, weil ich wissen wollte, wem er zuwinkte – ich wusste, wer außer ihm noch dort war –, doch ich drehte mich nur für einen Moment weg, und als ich wieder hinsah, war er fort. Ich glaube, in derselben Sekunde habe ich geschrien.
Damals war mir nicht bewusst, dass ich einen Laut von mir gab, aber Mutter erzählte später, mein Schrei habe sie darauf aufmerksam gemacht, dass irgendwas nicht stimmte . U nd in ebendiesem Augenblick, in dem ich das Fernglas fallen ließ und hinaus in die weiße Nacht starrte – alles plötzlich weit fort und seltsam, zu klein und zu fern, um echt zu sein – hielt sie mit ihrer Arbeit im Atelier inne und spitzte die Ohren. Ich glaube, ich war davon überzeugt, irgendwie getäuscht worden zu sein, vielleicht hatte die Täuschung mit dem Fernglas zu tun, aber auch als ich die ganze Szene mit bloßem Auge betrachtete, konnte ich in diesem Schimmer aus Grau und Silber nichts erkennen. Und als ich zu dem Rasen vor der Hytte zurückschaute, war Maia ebenfalls fort. Als wäre sie nie da gewesen. Als hätte keiner von beiden je existiert. Ich denke, das hat mich verwirrt, und ich wusste nicht, ob ich das Ganze nicht vielleicht doch nur geträumt hatte; dann aber begann ich zu rennen, rannte nach unten und aus dem Haus, nicht weil ich dachte, ich könnte Martin Crosbie helfen, sondern weil ich mit eigenen Augen sehen wollte, was passiert war. Ich musste den Bann brechen. Ich glaube, ich dachte, wenn ich zu der Stelle lief, an der das Boot im Wasser dümpelte und sich immer noch kaum wahrnehmbar drehte, dann würde dieser Traum enden, und ich könnte mir sagen, dass ich mir alles nur eingebildet hatte.
Ich wusste nicht, dass Mutter meinen Schrei gehört hatte, auch nicht, dass sie sich durch mein überstürztes Fortlaufen veranlasst sah, mir zu folgen. Mir war nicht einmal der Gedanke gekommen, sie um Hilfe zu bitten oder die Polizei zu rufen, die Küstenwache oder wen immer man sonst alamiert, wenn etwas Schlimmes geschieht. Ich lief einfach los, als die Unsicherheit um dieses leere Boot und das ungebrochene Grau des Wassers unerträglich wurden. Als ich durch den Birkenwald und über die Wiese rannte, wusste ich nicht, dass Mutter kaum zwanzig Meter hinter mir mit diesem raschen, zielstrebigen, für sie so typischen Schritt folgte. Ich musste angenommen haben, dass sie sich noch im Atelier aufhielt, versunken in ihre eigene Welt, und ahnte nicht, dass sie etwas mitbekommen hatte, bis wir zur Hytte kamen und vor der Tür zu dem kleinen Schuppen auf Maia stießen, die etwas in den Händen hielt, offenbar einen Schal, vielleicht auch einen Schleier, jedenfalls dachte ich, es sei ein Stück Stoff, möglicherweise Seide. Eigentlich wusste ich es erst, als ich an Maias Miene erkannte, dass sie hinter mir jemanden wahrnahm, jemanden, dessen Anwesenheit sie überraschte, zumindest einen Augenblick lang. Ich sah in ihrem Gesicht – wie bei einem Blick in den Spiegel, bei dem man irgendwo links am Rand des Blickfeldes eine flüchtige Bewegung wahrzunehmen meint –, dass noch jemand kam, und als ich mich umsah mit dem unangenehmen Gefühl, zwischen beiden zu stehen, spürte ich, dass ich mich in einen Bereich vorgewagt hatte, in den ich nicht gehörte. Es hielt nur kurz an, dieses Gefühl, doch war es für uns alle beunruhigend. Sogar für Maia.
Mutter sah Maia erst im allerletzten Augenblick, sah sie, glaube ich, als sie spürte, dass sie selbst gesehen wurde, und sobald sie dies merkte, blieb sie stehen. Sie war knapp zehn Meter von Maia entfernt, und ich stand zwischen ihnen. Eine Sekunde lang,
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