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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burnside
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später immer wieder gestellt: Habe ich noch geschlafen? Habe ich geträumt, was ich sah? Aber ich kam nicht mal auf den Gedanken, dass Gefahr drohte. Da waren zwei Leute, die in einer Sommernacht mit dem Boot hinausfuhren – mit einem Boot, das ihnen natürlich nicht gehörte; außerdem hätte ich daran denken sollen, wie eifersüchtig Kyrre dieses Boot hütete und dass er es niemals seinen Gästen lieh, aber ich habe an überhaupt nichts gedacht. Ich sah bloß einen Mann und eine Frau, die ein Boot an den Strand schleppten und, sobald es im Wasser lag, in die Brandung schoben. Es war ein Augenblick vollkommener, unnatürlicher Stille, fast wie auf einem alten Fischerbild von Christian Krohg; dann hörte ich den Außenbordmotor anspringen und sah, wie das Drama seinen Lauf nahm, wie Martin Crosbie ins Boot stieg und auf den Fjord hinausfuhr, während seine Gefährtin am Ufer blieb. Das kam mir seltsam vor, und mich verwirrte, was geschah. Natürlich ist dies absurd, wenn man bedenkt, was ich bereits wusste. Nur begriff ich es wirklich nicht, weder als das Boot hinaus ins offene Meer tuckerte und dann hielt, keine zwanzig Meter vom Strand, noch als Maia zum kleinen Rasen vor der Hytte ging, vermutlich, um besser sehen zu können, wie das Boot anhielt, der Motor leise im Leerlauf brummte und Martin Crosbie dort im Boot hockte und aussah, als hätte er sein Leben lang nichts anderes gemacht. Hatte er aber, und es gab für ihn keinen Grund, sich dort draußen auf dem Fjord herumzutreiben. Bisher war ihm Kyrres Boot völlig egal gewesen, und ohne allen Grund fuhr er jetzt damit hinaus ins weiße, ruhige Wasser, obwohl er dort draußen doch nichts zu suchen hatte – und Maia sah ihm nach, die Hand erhoben, als wollte sie ihm zuwinken, ganz Unschuld und liebeskranke Blödheit.
    Und dann war er plötzlich verschwunden. Nur zehn, fünfzehn Meter weit draußen, bestimmt nicht mehr und nicht gerade in einer Tiefe, die einem erwachsenen Mann gefährlich werden könnte, stand er auf, hob die Hand, als wollte er zurückwinken, flackerte einen Augenblick wie eine Figur in einem körnigen alten Film aus den zwanziger Jahren und verschwand geräuschlos. Es gab später keinen Beweis dafür, dass es auf diese Weise passiert war – anders als bei den Jungen der Sigfridssons trieb seine Leiche nicht mit der Flut ans Ufer oder wurde auch an keinem Kai angespült, wo sie ein vorbeifahrender Fischer hätte bergen können – dennoch verschwand er, und ich war da und spionierte ihm mit dem Fernglas nach, als er ins Wasser ging. Ich war da und sah, was geschah – meinte es zumindest zu sehen. Eine Sekunde bloß habe ich nicht hingeschaut, ein rascher Blick dorthin, wo Maia stand und ihm nachspähte, doch in dieser Sekunde geschah es, und er verschwand. Zuletzt habe ich ihn gesehen, wie er im Boot stand und zurückblickte, und obwohl ich sein Gesicht nicht deutlich erkannte, nicht einmal durch das Fernglas, hatte ich einen kurzen Moment lang den Eindruck, dass er glücklich war. Und ich glaube, Maia war ebenso glücklich: Ihr Gesicht habe ich gesehen, und ich könnte schwören, dass sie es war. Glücklich, meine ich, nicht um ihrer selbst, sondern um Martin Crosbies willen. Nicht, weil sie ihn ins Wasser gelockt hätte, oder glücklich, wie die Huldras in den alten Geschichten im Augenblick der Wahrheit glücklich gewesen sein mögen, nein: So absurd es auch klingt, ich glaube immer noch, dass es sich bei dem Glück, das sie beide aus welch perversem Grund auch immer empfanden, um geteiltes Glück handelte. Als ich sah, dass Martin Crosbie verschwunden war, wusste ich, dass Maia nichts unternehmen würde, um ihn zu retten. Sie würde zusehen, würde es zulassen, dass die Flut ihn mit sich nahm. Kein Versuch zu helfen oder Hilfe zu holen; was geschah, war beabsichtigt, etwas, in das man sich nicht einmischen sollte. Ich unternahm in den ersten kritischen Sekunden allerdings auch nichts. Ich sah einfach nur zu, wie das Boot ein wenig weiter hinaustrieb, verharrte und sich dann langsam in der aufkommenden Flut drehte, kaum zwanzig Meter vom Ufer entfernt.
    Einen Moment lang stand ich wie versteinert – ein Moment, in dem in Geschichten Jahrzehnte vergehen –, dann war der Bann gebrochen. Bis dahin hatte ich nicht begreifen können, was ich sah – und ich rede mir ein, dass es Schock war, Schock und fassungsloser Unglaube, was mich so lang gefangen hielt, unfähig, mich zu rühren, während das Boot dahintrieb und der Mann, der kurz zuvor

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