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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burnside
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konnte das Meer nach dem, was gerade geschehen war, bloß so ruhig sein? » Aber können wir denn nicht irgendwas tun?«, fragte ich.
    Mutter gab keine Antwort. Irgendwo seitlich von uns hörte ich ein Geräusch – ein leiser, lockender Klang im nahen Gras –, und ich drehte mich um. Halb rechnete ich damit, Maia unter den Weidenröschen zu sehen oder am Ufer des Baches, der nur wenige Meter weit fort über den Strand floss, aber da war niemand. Es war still. Ich wandte mich wieder Mutter zu. » Können wir denn nichts tun?«, fragte ich noch einmal. Meine Stimme klang jedoch selbst für mich so dünn und fern, dass Mutter sicher wusste, dass dies keine echte Frage war.
    Trotzdem gab sie eine Antwort. Ich weiß nicht, was sie in diesem Moment glaubte, nehme aber an, dass sie mich einfach nur nach Hause bringen wollte. Sie ging nicht davon aus, dass irgendwem unmittelbar Gefahr drohte – auch wenn sie sich sorgte, ich könnte in so etwas wie einer psychischen Krise stecken. » Nein«, sagte sie. » Wir können hier nichts mehr tun.« Sie schüttelte den Kopf. » Wir müssen nach Hause zurück.« Und sie lächelte traurig – ein Lächeln, das mich an früher erinnerte, daran, wie sie mich fürs Bett zurechtgemacht und Geschichten aus ihren großen Bildbänden erzählt hatte. Geschichten über Helden oder Gassenjungen, die es im Leben zu etwas brachten, Geschichten, in denen überhaupt nichts Düsteres vorkam.
    Störrisch zögerte ich einen Moment, kehrte dann aber mit ihr zurück. Ich weiß heute, dass sie nicht glaubte, ich hätte irgendwas gesehen, nur wollte sie mir keinen Druck machen, wollte langsam vorgehen, die Puzzleteile sorgsam, Stück für Stück zusammensetzen, bis sie verstand, was hier ablief. Sie war für sich zu dem Schluss gekommen, dass ich Dinge sah – und in diesem Augenblick wirkte das auf sie bloß lächerlich, ein Streich, den mir der Verstand spielte, eine Nachwirkung von Kyrres alten Geschichten. Warum sollte ein erwachsener Mann auch ein Boot nehmen, das ihm nicht gehörte, es in die Strömung steuern und dann über Bord gleiten? Dabei handelte sich um eine reine Schlussfolgerung, beobachtet hatte ich nichts. Wie wollte ich etwas bezeugen, das ich nicht einmal mit eigenen Augen gesehen hatte? Natürlich weiß ich heute, dass Mutter sich nicht darum sorgte, was oder was nicht geschehen war; sie machte sich um meinetwillen Sorgen. Da erzählte ich, Maia sei schuld daran, dass die Jungen der Sigfridssons ertrunken waren und dass sie Martin Crosbie jetzt durch irgendeinen wirren Zauber bewegt hatte, genau wie die Jungen im kalten, stillen Meer zu ertrinken. Wie sollte sich eine Mutter keine Sorgen machen, wenn ihr Kind so redete? Sie war meine Mutter, und sie hatte sich um mich, nicht um irgendein auf Abwege gekommenes Mädchen zu kümmern oder um einen Phantomselbstmord. Also kümmerte sie sich um mich. Sie brachte mich ins Haus zurück und setzte mich an den Küchentisch. Dann griff sie nach dem Telefon und rief jemanden an. Ich habe nie herausgefunden, wer es war, doch war es ein echter Anruf, und sie sprach mit jemanden, der Fragen stellte, die sie beantwortete, jemand, der sie beruhigte. Es war nur ein kurzes Gespräch. Dann gab sie mir einen Akevit, den ich zu meiner eigenen Überraschung austrank, und blieb bei mir sitzen, bis ich bereitwillig ins Bett ging. Ich sah ihr an, dass sie sich Sorgen machte, spürte aber auch, dass sie wie nach dem Lehrbuch vorging: ruhige Worte, ein bisschen Alkohol, Schlaf. Morgen würde alles besser aussehen. Für alles würde sich eine Erklärung finden. Am Morgen würde ich aufwachen und wie Alice merken, dass es nichts als ein seltsamer Traum gewesen war.

***
    Aber es war kein Traum. Im späten Sommer mit seinen ersten Ahnungen der wiederkehrenden Nacht zeigten sich in den frühen Morgenstunden entlang unserer Gartenmauer kühle Flecken Dunkelheit, sammelte sich inselartig hier und da ein weicher, fast pudriger Schatten auf den vom Wind niedergedrückten Wiesen, und Martin Crosbie verschwand im Malangenfjord, während drei Menschen keinen Finger rührten, um ihm zu helfen. Ich war eine der Zeugen, und ich versuchte nicht einmal, ihn zu retten, auch wenn ich, als er versank, viel zu weit fort war, um etwas tun zu können. Selbst hinterher, als er fort war, versuchte ich gar nicht erst, eine Aussage zu den Ereignissen zu machen, auch nicht zu der Rolle, die Maia bei seinem Tod gespielt haben musste. Warum? Ich weiß, ich hätte ihn nicht retten können,

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