In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten
Boot auf dem Fjord sah, wie es langsam vor den Bergen dahinglitt, gerade weit genug fort, um es nicht hören zu können. Die Stille, ehe ein Vogel zu singen beginnt, dann die Stille danach; das Gefühl, das sie manchmal überkam, wenn sie allein im Haus war, das Gefühl, dass nie wieder etwas geschehen würde. Kein Geräusch, keine Bewegung. Kein Vergehen der Zeit. Das Atelier war der Ort, an dem sie arbeitete, das Wohnzimmer der, an dem sie mit der Außenwelt verhandelte, doch die Küche war in vielerlei Hinsicht ihr wahres Zuhause, besonders an jenen stillen Vormittagen, an denen sie früh aufstand und nach einem einsamen Frühstück zu malen begann. Hin und wieder hielten sich dort auch andere auf – und ich zähle mich selbst zu diesen anderen –, doch sobald sie allein war, verwandelte sich die Küche in einen Raum, den niemand sonst betreten konnte, eine temporäre, provisorische Zuflucht, die ihr gerade deshalb so verlässlich schien, weil sie imaginär und nicht von Dauer war.
Natürlich störte ich sie nur ungern, wenn sie sich in der Küche aufhielt. Vermutlich hat sie nie begriffen, wie gut ich sie in dieser Hinsicht verstand – wenn sie mit anderen Leuten darüber redete, tat sie es leichthin ab, so als wäre es nur ein anekdotisches Detail, das sie ihnen darbot, eine Kindheitserinnerung etwa oder eine Geschichte über den Beginn ihrer Karriere, doch wenn ich zurückdenke, verstehe ich, dass ich viel mehr über sie wusste, als wir uns beide anmerken ließen. Im Lauf der Jahre hatte ich ihre Eigenheiten kennengelernt; sie waren ein Teil meines Lebens geworden, so wie meine sich ihrem Leben eingefügt hatten. Das Haus, in dem wir wohnten, war nicht bloß ein Gebäude, umgeben von Garten und Birkenwald, es war ein kartografiertes Gitterwerk von Ritualen und Gewohnheiten, das wir wortlos in langen Jahren von Versuch und Irrtum sowie mit kaum merklichen Nachjustierungen geschaffen hatten, wobei wir uns ständig neu definierten und aufeinander einstellten. Bis vor Kurzem habe ich eigentlich nie darüber nachgedacht, doch genau das war es, was sie meinte, wenn sie von Zuhause sprach. Ein Zuhause kann man nicht teilen, man kann sich dort nicht mit anderen aufhalten, nicht, wenn man so ist wie wir. Es muss ein Geheimnis bleiben. Für uns ist zu Hause ein Ort, den niemand sonst kennt, ein alltägliches und zugleich mysteriöses Terrain aus Wind, Schnee und weißen Nächten, mit Farben wie aus einem Sohlberg-Gemälde und schwachen, fernen Schreien, die des Nachts von den Wiesen oder der Küste aufsteigen und uns anrühren, während wir träumen oder schlaflos in der Midnattsol wach liegen, bis sie vergeht.
Es war mein Haus und es war ihres, und bis zu einem gewissen Grad war es unser gemeinsames Haus, doch mussten wir beide entscheiden, wann wir sichtbar sein und wann wir ungesehen bleiben wollten – und an diesem Morgen wartete ich, ehe ich nach unten ging, bis sie mit ihrem einsamen Frühstück fertig und die Treppe hinaufgegangen war, um mit ihrem Tagewerk zu beginnen. Ich aß etwas Müsli, trank eine Tasse Kaffee und ging dann mit Kamera und Fernglas nach draußen, um zu beobachten, was es zu beobachten gab. Allerdings nahm ich nicht an, dass ich irgendwas Ungewöhnliches entdecken würde. Jetzt, da die Hytte verschlossen und das Spiel mit dem Porträt vorbei war, kamen mir die Tage vor wie eine Zeit danach. Ich glaube, ich dachte, da der Sommer vorbei sei, sei auch die Geschichte zu Ende, die wir uns im Verlauf der letzten Monate erzählt hatten. Martin Crosbie fort, die Jungen der Sigfridssons begraben, und Maia – na ja, bis zu diesem Morgen hatte ich angenommen, der Wetterumschlag und Mutters Benehmen, das sie für eine eindeutige Ablehnung halten musste, hätten sie von der Insel getrieben.
Davon war ich fest überzeugt – weshalb es mich ziemlich erstaunte, als ich die Haustür hinter mir schloss, mich umdrehte und Maia am Gartentor sah, wie sie zum Haus herüberschaute, als wartete sie darauf, dass jemand an die Tür käme und sie hereinbäte. Wie sie da stand, erinnerte sie mich an meine erste Begegnung mit Martin Crosbie – eine einsame Gestalt auf einem ansonsten menschenleeren Weg, etwas unsicher, wie sie eigentlich hergefunden hatte –, im Gegensatz zu Martin aber schien Maia genau zu wissen, wo sie sich befand und weshalb sie gekommen war. Vielleicht war es auch nur Schau, aber war nicht alles an ihr nur Schau? War nicht alles nur zur Schau gestellte Beherztheit, ein selbst beigebrachter
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