In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten
Bluff, mit dem sie sich der Welt zeigte, um uns wissen zu lassen, es machte ihr nichts aus, dass wir uns nichts aus ihr machten? Dass sie kein Opfer sein würde? Als sie mich sah, lächelte sie ihr typisches vielsagendes Lächeln, rührte sich aber nicht. Sie blieb einfach, wo sie war, und wartete, dass ich auf sie zuging. Was ich natürlich tat. Nicht, weil ich es gewollt hätte, sondern weil mir ihr Lächeln eine Herausforderung bedeutete, die ich damals nicht zu ignorieren wusste. Etwas in mir musste ihr zeigen, dass mich nicht kümmerte, was sie sagte oder tat – doch es ging um mehr. Damals wollte ich es nicht recht glauben, im Nachhinein aber wird deutlich, dass sie mich in ihren Bann gezogen hatte – lächerlich, ich weiß. Doch wie könnte ich die seltsame, panische Stimmung anders erklären, die mich überkam, sobald ich sie sah? Wie sonst Gründe für meine Angst finden oder auch für die eigenartige Sehnsucht danach, dass etwas Schreckliches geschehen möge? Wie ließe sich dieser Stimmungswechsel erklären, wie, was als Nächstes geschah, da doch das, was dann geschah, so unerklärlich war? Dass es überhaupt etwas mit Maia zu tun hatte, bleibt unbewiesen. Ein Zufall, mehr nicht – nur schien es damals keine andere Erklärung für die Tatsache geben zu können, dass plötzlich überall Federn waren. Als ich Maia am Gartentor sah, waren sie mir nicht gleich aufgefallen, doch dann, kurz danach, schwebten sie zu Hunderten in den Garten: Weißer Flaum befiederte die Spinnennetze in Mutters Rosenbüschen, seltsame Federn, kohlschwarz oder möwengrau, lagen hier und da zwischen vertrocknetem Gras und verwelkten Lupinen, ein sanfter Hauch von Farbe, zart wie Rauch, hing an den braunsamtigen Härchen der Himalaja-Mohnstängel. Sie stammten nicht von einem einzigen Tier, nicht so, als fände man einen toten Vogel irgendwo unter einer Hecke und könnte die vielen Federn auf ein Epizentrum von zerfetztem Schnabel und aufgeschlitztem Gedärm zurückführen. Nein, an diesem Tag gab es Federn aller Art und in fast jeder nur erdenklichen Farbe, nicht nur Grau, Weiß und Blassblau, was zu erwarten wäre; vielmehr erinnere ich mich auch, Streifen von unfassbar zartem Rosapink im Wipfel einer Tromsøpalme gesehen zu haben, und eine einzelne Strähne Kaisergelb klebte am Stamm einer Birke nahe am Tor. Ich verstand das nicht. Vielleicht waren sie schon vorher da gewesen und mir nur nicht aufgefallen, doch als ich sie bemerkte, schienen es Hunderte zu sein, Tausende gar – zarte, daunenweiche Federn, die aus dem Himmel niederschwebten, ins Gras sanken, an den Blättern der Birken hängenblieben und auf den Kies fielen, über den ich zum Gartentor lief. In diesem Augenblick schienen sie überall zugleich zu sein – und mir kam der Gedanke, dass ich Mutter holen sollte, damit sie sich das ansah. Nur rührte ich mich nicht mehr vom Fleck. Ich konnte bloß noch zusehen, wie die Federflut anschwoll und den Garten überschwemmte. Heute wünsche ich mir natürlich, ich hätte Mutter geholt, bestimmt wäre alles anders gekommen, wenn sie da gewesen wäre. Ich wünsche mir, ich wäre stärker gewesen, oder mutiger, denn der Bann hätte gebrochen werden können, und wäre das passiert, hätte uns die Huldra vielleicht so leichthin und still verlassen wie der Wind, der über ein Feld weht und sich im fernen Gras verliert, ein kleines, örtlich begrenztes Dunkel, das in einem Büschel Schilf oder an einem alten Holzhaufen zu nichts zerfällt.
Ich schaute Maia an, die immer noch reglos am Gartentor stand, doch schien sie nichts Außergewöhnliches bemerkt zu haben, und für den Bruchteil eines Augenblicks fürchtete ich, dass alles nur eine Illusion sein könnte, eine Halluzination, von der sie nicht einmal etwas mitbekam. Gleich darauf war es vorbei, und statt Hunderter, Tausender Federn, die mich umwirbelten und die Erde bedeckten, war da nur eine Handvoll dreckiger Federn, ähnlich den Überbleibsel, die eine Katze hinterlässt, wenn sie einen Vogel gefangen und ihn unter einer Hecke vertilgt hat. Ich sah mich um. Eben noch war mir alles auf mysteriöse Weise wundersam erschienen, nun war es bloß mehr der gewohnte Garten, das gewöhnliche, ordinäre Tageslicht.
» Was war das?«, fragte ich. Im Nachhinein bin ich mir nicht sicher, welche Erwartungen ich an Maia hatte, glaube aber, ich hoffte einen absurden Moment lang, einen Augenblick der Verwirrung und des Staunens mit ihr zu teilen, so als könnte ich sie auf diese Weise
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