In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten
habe ich«, beharrte sie, kam in die Küche, und ich hörte, wie sie Wasser in den Kessel füllte und ihn aufsetzte. Ihre Stimme übertönte das Rauschen. » Er kommt extra aus New York«, fuhr sie fort, » weiß der Himmel, warum.« Dann stand sie wieder in der Küchentür und musterte mich aufmerksam. » Ich habe dir von ihm erzählt«, sagte sie, doch sah ich ihr an, dass sie nicht mehr überzeugt war.
» Weiß nicht«, antwortete ich, dabei war ich mir ziemlich sicher, dass sie keinen Journalisten erwähnt hatte.
Sie seufzte. » Jedenfalls«, sagte sie und ließ mit einer übertriebenen Geste der Resignation den Kopf sinken, ehe sie zurück in die Küche kam, » muss ich mit ihm reden, will ihn aber nicht mit hinauf ins Atelier nehmen …« Ihre Stimme verklang, und ich hörte, wie sie Geschirr aus dem Schrank nahm und den Tisch deckte.
» Kein Problem. Ich wollte sowieso noch einen Spaziergang machen.«
Sie kam zur Tür. » Du musst ja nicht gleich aus dem Haus gehen, ich dachte nur …«
» Nein, ich brauche frische Luft«, erwiderte ich und griff nach der Kamera. » Vielleicht mache ich ein paar Bilder.«
Sie lächelte. » Na ja, wenn’s dir nichts ausmacht. Er hat wirklich einen ziemlich weiten Weg hinter sich.«
Darüber hätte ich fast gelacht. Normalerweise führte sie sich vor einem Interview nicht so auf. Schmeichelte es ihr, dass der Mann den weiten Weg von New York zu uns gemacht hatte, nur um sie zu sehen? Oder war da noch etwas anderes? Es schien so leicht, in den Mythos zurückzufallen, den sie um sich geschaffen hatte, nämlich dass sie die Einsamkeit vorziehe, tagelang kein Wort rede, ganz versunken in ihrer Kunst sei – doch ich glaube, sie genoss diese Gespräche, auch wenn sie vorgab, sie seien ihr eine Last. Interviewer betonten stets, wie großzügig sie war, und wiesen gern darauf hin, wie viel Zeit ihnen diese notorische Einsiedlerin gewährt und wie ausgiebig sie ihre Frage beantwortet hatte, doch verhinderte der Mythos, dass sie begriffen, um wie vieles mehr ihr diese Gespräche bedeuteten, als sie durchblicken ließ. Wenn die Interviewer mit ihren Tonbändern und Notebooks wieder gingen, bedankten sie sich stets für die so freigebig gewährte Zeit und schienen nie zu bemerken, dass ihnen gar nichts gewährt worden war. Mutter hatte sich vielmehr etwas genommen. Nicht viel – was sie sich nahm, war sorgsam bemessen, und die selbstgesetzte Grenze wurde nie überschritten –, doch nahm sie sich genug, um davon auf unerklärliche Weise gestärkt zu werden, so dass sie oft, kaum waren die Besucher verabschiedet, in ihr Atelier eilte und sich vor dem nächsten Morgen nicht wieder blicken ließ. So funktionierte es für sie dann und wann, dabei kam es nicht darauf an, was die Interviewer gesagt oder mit welchen Herausforderungen sie Mutter konfrontiert hatten. Nein, entscheidend war, was sie gesagt oder gedacht oder eben nicht gesagt hatte während dieser langen Gespräche, die ihr eine neue Richtung eröffneten. Interviews gestatteten es ihr, sich hin und wieder selbst zu überraschen, und deshalb erklärte sie sich dazu bereit. Es gab keinen anderen Grund, auch wenn ich mir manchmal wünschte, es gäbe ihn.
Es war ein lauer, herrlicher Tag; und vom Malangenfjord wehte eine leichte Brise landeinwärts. Ich ging über die Wiese gleich unterhalb des Hauses, entschied mich dann aber für den schmalen Pfad, der westlich vorbei an Kyrres Hytte und am Ufer eines kleinen Bachs entlang zum Strand hinabführte. Dieser Streifen Sand und angeschwemmter Kiesel gehörte zu meinen Lieblingsplätzen, und ich ging hin, wenn ich mich langweilte, wenn ich unglücklich war oder nachdenken musste. Nirgends gefiel es mir besser, vielleicht, weil ich mich hier am einsamsten fühlte, so weit fort wie nur irgend möglich von der Welt der Schule, der Stadt und von anderen Menschen mit Sorgen und Problemen wie den meinen. Ich war nämlich nicht gern unter Leuten, erst recht nicht unter solchen meines Alters. Ich wollte nicht an das Profane erinnert werden, das ihnen so wichtig schien. Bei mir übernachteten deshalb auch keine Freundinnen wie sonst bei Mädchen meines Alters, schlicht, weil ich keine Freundinnen hatte, und ich ging in Tromsø weder Kleider noch Make-up einkaufen, weil mich derlei nicht interessierte. Manchmal trieb es mich zu Kyrre Opdahls Haus, und ich saß eine Weile bei ihm, während er eine Uhr oder irgendein Maschinenteil reparierte und dabei von früher redete oder Geschichten aus
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