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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burnside
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Angelegenheit weiterzuverfolgen? Sollte ich Mutter davon erzählen? Sie hatte nichts zu dem Brief gesagt, doch was würde sie sagen, wenn ich die Sprache darauf brachte? Mein erster Impuls riet mir, dieser wohlmeinenden Fremden zu schreiben und sie aufzufordern, mich in Ruhe zu lassen, doch sicher war das reine Zeitverschwendung. Ich denke, ich hätte mich mit Mutter beraten können, und sie hätte bestimmt jede meiner Entscheidungen unterstützt, aber darum ging es ja gerade: Ich wollte keine Entscheidung treffen. Es war nicht fair, dass ich zu einer Entscheidung gedrängt wurde, hatte ich diese Frau doch auf keine Weise in meine Welt gebeten. Ich wollte nur, dass man mich in Ruhe ließ, eine simple Tatsache, eine, auf die ich immer wieder zurückkam: Es war nicht fair. Ich interessierte mich nicht für Arild Frederiksen, empfand keine Spur jener Neugierde, auf die Kate Thompson vermutlich baute, und ich wollte nicht einmal daran denken, worum man mich im nächsten Brief bitten könnte – denn natürlich wusste ich, dass man mich irgendwann um etwas bitten würde. Die ganze Nacht dachte ich an den Brief, und auch am nächsten Vormittag – während ich ständig darauf wartete, dass Mutter ihn erwähnte –, doch dann, bei einem einsamen Mittagessen in der Küche, entschied ich, dass ich diesen plötzlich aufgetauchten Vater und dessen Damenbekanntschaft in die Welt der Butzemänner und Phantome verbannen würde, in jene Welt, mit anderen Worten, in die sie rechtens gehörten, um sie dann zu vergessen.
    Das war natürlich naiv. Ich denke, das hatte ich damals sogar begriffen, doch sah ich keine andere Möglichkeit, zumindest keine, mit der ich mich abfinden konnte. Wenn ich auf den Brief antwortete, wenn ich mit Mutter darüber redete, wenn ich überhaupt irgendwas tat, erkannte ich die Existenz dieses Mannes in meinem Leben an, und dagegen wehrte ich mich. Also saß ich in der Küche und aß ein Weißbrotsandwich mit Hühnerfleisch und Tomate, danach einen Apfel und etwas Gjetost und war fest entschlossen, mir den Brief aus dem Kopf zu schlagen. Eine Zeit lang hörte ich Radio, dann holte ich meine Kameratasche, setzte mich an den Esstisch und putzte die Linsen langsam und sorgfältig mit einem weichen Antistatiktuch. Es muss gegen zwei gewesen sein, als Mutter in der Tür auftauchte. » Viel zu tun?«, fragte sie in neutralem, leicht neugierigem Ton. Möglicherweise hatte sie es sarkastisch gemeint, doch ging ich nicht davon aus. Sie gehört nicht zu den Leuten, die finden, alle Welt habe ständig zu arbeiten, nur weil sie es tut. Im Gegenteil. Eigentlich hätte ich ein bisschen Druck von ihrer Seite gebrauchen können – die Schule war vorbei, und ich sollte irgendwas wegen meiner Zukunft unternehmen, rührte aber keinen Finger. Vielleicht wäre es besser gewesen, sie hätte mir auf gute, altmodische Weise von Mutter zu Tochter ins Gewissen geredet, doch etwas mit meinem Leben anzufangen, aber das war nicht ihre Art. In den Augen der meisten Menschen galt sie als erfolgreiche Frau, vielleicht sogar in den eigenen Augen, doch bedeutete Erfolg ihr etwas anderes, etwas, das eher mit Freiheit als mit Geld oder Ruhm zu tun hatte; trotzdem glaube ich nicht, dass sie in ihrem Leben jemals zielgerichtet gehandelt hat, ausgenommen damals, als sie in den Norden zog. Und als sie mich bekam, natürlich. Sie achtete stets darauf, mir unmissverständlich deutlich zu machen, dass ich gewollt gewesen war: Sie hatte sich für mich entschieden, und alles, was sie tat, was sie seit dem Tag meiner Geburt getan hatte, zielte darauf ab, mir das Leben so angenehm wie möglich zu gestalten. Sie arbeitete, damit ich keine falschen Entscheidungen zu treffen brauchte, damit ich mich nicht überstürzt für etwas entscheiden und dann so tun musste, als wäre dies das Bett, in dem ich zu liegen wünschte.
    Ich legte die Kamera auf den Tisch. » Eigentlich nicht«, sagte ich. » Und du?«
    Der Hauch von Sarkasmus in meiner Stimme ließ sie lächeln, dabei hatte ich nichts dergleichen anklingen lassen wollen. » Ich sollte was tun«, sagte sie, » aber um halb drei kommt dieser Journalist.« Sie schaute aus dem Fenster. » Falls er sich nicht verfährt.«
    » Was für ein Journalist?«
    Sie blickte wieder zu mir herüber, und in ihrem Gesicht deutete sich so etwas wie Überraschung an, vielleicht auch eine Spur Ärger. » Der Amerikaner«, antwortete sie. » Ich habe dir doch gesagt, dass er kommt …«
    » Ich glaube nicht …«
    » Doch,

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