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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burnside
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Feuer mitnahm, und es war Kyrre, der mir jene Geschichten erzählte, die mich stärker als alles andere an diesen Ort binden. Also nehme ich an, es ist seine Schuld, dass ich trotz allem, was geschah, für immer hierher gehöre. Damals dürften auch Mats und Harald Sigfridsson noch hier gewesen sein, gespenstisch, weiß im Feuerlicht, etwas abseits vom Rest der Gruppe, in einer nur von ihnen selbst bevölkerten Welt – und jeden Mittsommer denke ich, dass die Ereignisse jenes Jahres nie stattgefunden hätten, wären sie nur am Leben geblieben. Maia wäre nie zur Huldra geworden, und Kyrre hätte nicht den Verstand verloren; Martin Crosbie wäre mit ein paar Bildern und Storys heimgefahren, um seinen Sommer am Polarkreis zu einer Art Liebesgeschichte umzudichten, an die er mit ein wenig Zeit und Mühe vielleicht auch geglaubt hätte. Und ich? In diesen letzten zehn Jahren bin ich manchmal, wenn der Zufall mich dorthin führte oder ich nichts Besseres zu tun hatte, am nächsten Morgen zur Feuerstelle zurückgegangen und habe der Asche zugesehen, wie der Wind sie aufstob, verwirbelte und über die Wiesen davontrug oder den Strand entlang, dorthin, wohin Dinge verschwinden, wenn sie mit dieser Welt fertig sind. Ich weiß nicht, warum ich das tue, falls ich nicht nach etwas suche. Nach einem Zeichen vielleicht oder der Erinnerung an ein Wort, eine Geste, die mir damals entging – aber vielleicht will mein Blick auch nur der Aschefahne folgen in der Hoffnung, jene Lücke im Gewebe der Welt zu entdecken, in der unwillkürlich verschwindet, wer von den alten Geschichten verdammt wurde, ob er nun an sie glaubte oder nicht.
    In jenem Jahr musste Mutter in den Tagen vor Mittsommer mehr als gewöhnlich arbeiten. Sie hielt sich dabei an keine Regeln, aber das hatte sie ja noch nie getan; manchmal verschwand sie stunden-, gar tagelang und tauchte nur wieder auf, um Essen zu machen oder sich einen Kaffee aufzubrühen, den sie dann ins Atelier trug; immerhin sorgte sie dafür, dass ihre Mahlzeiten möglichst mit meinen zusammenfielen, was allerdings nicht jedes Mal klappte. Als ich noch kleiner war, hat sie peinlich genau darauf geachtet: Sie war da, wenn ich sie brauchte, und arbeitete nur, wenn ich schlief oder mich in der Schule aufhielt. Später dann, als ich zum Teenager heranwuchs, begann sie, sich ihren eigenen Zeitplan zuzulegen, und hatte oft nicht die leiseste Ahnung, was draußen in der Welt geschah. Das Atelier befindet sich im hinteren Teil des Hauses mit Blick über den Garten und zu den behauenen Steinen gleich dahinter; da gibt es keine Menschen und nichts zu sehen außer dem Birkenwald sowie die niedrigen, mit Kiefern bewachsenen Hügel, so dass Mutter dort völlig abgeschnitten ist, absolut allein in absoluter Stille. Mir macht das jedoch nichts aus; mir genügt meine eigene Gesellschaft. Ich sitze gern in der Küche mit einem Sandwich, einem Glas Milch und schwelge in dem manchmal aufkommenden Gefühl, der letzte Mensch auf Erden zu sein. Sah man einmal vom Samstagvormittag ab, kam niemand in unser Haus, der nicht bestellt worden war oder einen Termin hatte, und falls jemand unangemeldet erschien, musste er unten auf der Straße parken, gleich neben der kleinen Garage, in der Mutters Wagen stand, den sie nur selten benutzte. Das war in jenem Sommer nicht anders, der mir sogar noch stiller vorkam, noch weltentlegener, da die Schule vorbei war und ich, was meine Zukunft betraf, keine Ahnung hatte, wirklich nicht die geringste Ahnung, nicht einmal den Ansatz dessen, was man einen Plan nennen könnte. Die Zeit, wie man sie mit Uhren, Kalendern und täglichen Routinen misst, war mehr oder weniger abgeschafft, ersetzt durch ein langsames, langwährendes, angenehmes Dahintreiben, das nichts von mir verlangte, weshalb ich genau das tat, wonach mir der Sinn stand. Ich lebte in der Gegenwart, und die Gegenwart war ein köstliches, scheinbar endloses Zwischenreich.
    Ich brachte mehrere Tage mit der Überlegung zu, was Kate Thompson wohl als Nächstes tun würde. Mir war unklar, ob sie auf Anregung von Arild Frederiksen oder nur mit dessen Zustimmung geschrieben hatte, und ich fragte mich, wie krank er tatsächlich war, ja, ob er überhaupt wusste, was sie getan hatte. Für mich handelte es sich bei dem Brief um eine – gelinde gesagt – nicht sonderlich willkommene Einmischung in mein Leben, und ich wusste nicht recht, wie ich darauf reagieren sollte. Sollte ich antworten, oder würde sie das nur ermuntern, die

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