Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burnside
Vom Netzwerk:
und sich den nimmt, um dessentwillen sie gekommen ist.
    ***
    Ich war nur einige Stunden von daheim fort, doch in dieser Zeit war etwas geschehen. In dem Moment, in dem ich ins Haus trat, konnte ich Mutter und den Journalisten hören und nahm zunächst an, dass Angelika Rossdal eines ihrer typischen Interviews gab, jenes, in dem sie von Sohlberg redete und Diderot über Chardin zitierte, erst auf Französisch – ich hatte es sie so oft sagen hören, dass ich es auswendig aufsagen konnte –, um es dann auf Norwegisch zu wiederholen, auf Englisch oder in welcher Sprache auch immer gerade geredet wurde. Ne recherche pas la virtuosité de trompe-l’œil, mais rend perceptible la vie silencieuse des objets – genau, das war’s. Sie würde erklären, weshalb ihr so viel daran lag, dass Chardin sich nicht mit bloßer Virtuosität zufriedengegeben, sondern von sich gefordert hatte, das stille Leben in den Dingen zu finden, jenes, das dem Maler das Wesentliche offenbart. Sie hatte wirklich keine Ahnung, wie man ein Interview führte, und sonnte sich in dieser Tatsache, während der Feuilletonist oder Kritiker ihr gegenübersaß, höflich zuhörte, bis man irgendwann ein Ende fand, um dann an seinen Schreibtisch zurückzukehren und die Geschichte über die schöne, weltentrückte Einsiedlerin im eisigen Norden zu schreiben, die er von Anfang an schreiben wollte. An jenem Tag schienen sie der gewohnten Routine zu folgen, saßen im Esszimmer bei Tee und Gebäck und redeten über naheliegende Fragen – und da ich das stets unterhaltsam fand, blieb ich kurz stehen, um zuzuhören.
    » Ich bin wegen des Lichts gekommen«, sagte Mutter gerade. » Aus keinem anderen Grund. Ich wollte in diesem Licht arbeiten, mehr nicht.«
    » Wirklich? Das war Ihr einziger Grund?« Die Stimme des Mannes klang heller, und ich glaube, auch jugendlicher als erwartet, weshalb ich mir einen schlanken, jungenhaften Journalisten vorstellte, dessen blondes Haar ein klein wenig zu lang war und der, um älter zu wirken, einen Bart oder eine dicke schwarze Brille trug. Was jedoch meine Aufmerksamkeit weckte, was mich beunruhigte, das war der Ton selbst. In ihm schwang eine Vertrautheit mit, eine Wärme, die ich nie zuvor vernommen hatte. Der Mann redete wie mit jemandem, den er mochte, einer Freundin, vielleicht auch einer Geliebten. Jedenfalls klang er überhaupt nicht wie ein Journalist. Einen Moment herrschte Stille, und ich stellte mir vor, wie sie sich anschauten, womöglich lächelten, zwei Menschen, die beschlossen hatten, sich einen Spaß zu gönnen.
    » Ganz genau«, erwiderte Mutter. » Es war das Licht, das mich herführte, das Licht und die Farben.« Dann wieder Stille, ehe sie ernsthaft fortfuhr. » Es gibt Farbnuancen, die wir nur im Norden sehen können. Kirschrot, Blattgrün, Aschblau, die sind hier anders. Im Sommer offenbart das Licht um Mitternacht oder am frühen Morgen eine Tiefe, wie man sie im Süden nie zu Gesicht bekommt. Erst seit ich im Norden lebe, weiß ich Sohlberg wirklich zu schätzen. Ich habe ihn schon immer gemocht, fand aber, er übertreibe und male absichtlich etwas zu unwirklich.« Sie lachte. » In gewisser Weise tut er das natürlich auch«, fuhr sie fort, und in dem Moment kam mir der Gedanke, dass sie flirtete. Mit den Freiern hatte sie nie so geredet. Nicht einmal mit Ryvold. Erst recht nicht mit Ryvold. Sie flirtete – sie beide flirteten –, und auch wenn ich das Gesicht des Mannes nicht sehen konnte, wusste ich, dass er lächelte. Sie mochte ihn, und er mochte sie, und nach nur kurzer Zeit war das Interview, das sie zusammengeführt hatte, zwar noch ein Interview, aber zugleich auch ein Spiel, über dessen Konsequenzen sie nicht nachdenken wollten. » Vielleicht sind alle Genies ein wenig zu unwirklich …«
    » Der Ansicht sind Sie?«
    » Hm?«
    » Dass Sohlberg ein Genie ist?«
    » O ja.«
    » Nun, er hat seine Stärken, aber eigentlich …«
    Mutter liebte das. All dies war ein Spiel, selbst die ziemlich geläufige Kritik – Sohlberg sei interessant, ja vielleicht sogar bedeutend, doch könne man ihn wohl kaum ein Genie nennen –, und sie genoss es, sie fühlte sich so wohl wie schon seit Jahren nicht mehr. Zumindest nicht, solange ich sie kannte. » Er ist nicht konsistent«, sagte Mutter, » aber nur das Mittelmaß ist konsistent. Sehen Sie sich doch nur Vinteraften von 1909 an. Oder Weg Sagene. Erinnern Sie sich? Das blaugraue Haus im Schnee?«
    » Ja, die gleiche Farbe wie dieses Haus …«
    »

Weitere Kostenlose Bücher