In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten
doch fühlte ich mich nicht wohl dabei. Sie waren mir zu nah, zu plötzlich vertraut, und das fand ich peinlich, aber noch peinlicher war mir, dass sie für das Vergnügen ihrer Gesellschaft einen Zeugen zwar nicht gerade zu brauchen, sich aber doch über ihn zu freuen schienen. Sie waren zwei, die sich lange nicht mehr auf die übliche, ein wenig närrische Art glücklich gefühlt hatten, und jetzt, da sie es waren, wollten sie ihr Glück mit der ganzen Welt teilen. Nur war ich hinsichtlich der ganzen Welt alles, was sie hatten. Sie tranken Wein, dann setzte Mutter Kaffee auf und holte Kuchen, aber so lang blieb ich nicht mehr. Mir gefiel es nicht, Stellvertreterin der ganzen Welt zu sein, weshalb ich mir einen Armvoll Bücher aus den Regalen am Treppenabsatz holte und mich auf mein Zimmer verzog. Ich konnte sie noch hören, wie sie unten miteinander redeten und lachten, und ich muss zugeben, dass mir der Klang von Frank Vernes Stimme gefiel – zumindest aus der Distanz. Viel näher sollte sie mir nicht kommen. Ich wollte ihn nicht sehen, wenn er lachte, wollte die Bewegungen seiner Hände nicht sehen, wenn er etwas erklärte, und als Mutter ihn schließlich zur Tür brachte, freute es mich, dass er endlich ging. Weniger freute mich allerdings, als ich hörte, wie er Mutters Einladung annahm, am nächsten Tag zum Essen zu kommen, da ich wusste, ich würde den ganzen Abend dabei sein müssen, wenn sie über Kunst und Bücher redeten und vorgaben, nicht miteinander zu flirten, oder was immer es war, was sie da taten – und das bedeutete natürlich auch, dass ich mich den ganzen Abend so benehmen musste, als wäre derlei nichts Ungewöhnliches. Nur war es das. Etwas geschah, und auch wenn ich nicht wusste, was es war, wurde mir doch klar, dass das Leben nicht so weitergehen konnte wie bisher. Frank Verne, Kate Thompsons Brief, der Schulabschluss – was auch immer, und mochte es in meinen Augen noch so geringfügig sein, es konnte eine ganze Kette von Ereignissen in Gang setzen, die vielleicht alles änderten. Nur wollte ich nicht, dass sich irgendwas änderte. Ich wollte, dass alles blieb, wie es war. Keine Briefe, keine Journalisten, keine ertrunkenen Jungen, keine Zukunft. Nur die Gegenwart und das, woran ich mich erinnern wollte. Denn gut erinnern heißt auszuwählen, woran man sich erinnert, und niemand kann einen zwingen, sich an etwas zu erinnern, das man eigentlich fürs Vergessen ausgewählt hat.
***
Kyrre Opdahl tauchte tags darauf gegen Mittag mit seiner Werkzeugtasche auf. Er kam zur Hintertür und rief, wie er es immer tat, ehe er ins Haus trat: » Der Handwerker ist da.«
Ich war auf dem Weg in die Küche und beeilte mich, ihn im Flur abzufangen, um ihm Bescheid zu geben, dass Mutter im Atelier arbeitete. Ich erwähnte mit keinem Wort, dass Frank Verne ebenfalls dort war, erst recht nicht, dass er sogar zum Abendessen blieb, aber Kyrre meinte, es sei in Ordnung, er brauche nicht mit Mutter zu reden, er sei nur gekommen, den Trockner zu reparieren. Ich hatte nicht mit Kyrre gerechnet, sein Besuch überraschte mich, und Mutter hatte mir gegenüber auch nichts davon gesagt, dass etwas kaputtgegangen war, weshalb ich überlegte, wie ich mit der Situation umgehen sollte. Früher, als ich klein war, kam Kyrre regelmäßig ins Haus, schaute auf eine Tasse Kaffee vorbei und brachte eine Schüssel Beeren oder Möweneier mit, aber dann ist zwischen ihm und Mutter etwas passiert, und er hörte auf, so oft zu kommen. Was geschehen ist, weiß ich nicht – es hat jedenfalls keinen Streit, keinen unangenehmen Vorfall gegeben –, nur scheinen sie, als ich zwölf, dreizehn Jahre alt war, eine zwar freundschaftliche, doch seltsam formelle Übereinkunft getroffen zu haben, die zu nur ihnen bekannten Bedingungen ein neues, nicht mehr so zwangloses Regime mit sich brachte. Anfangs machte es mir ein wenig zu schaffen, dass Kyrre nicht mehr so oft vorbeischaute, doch fand ich mich bald damit ab; zudem stand es mir frei, jederzeit zu ihm zu gehen, wenn ich Lust auf einen Schwatz oder eine Tasse Kaffee hatte. Trotzdem blieb eine gewisse Verlegenheit, und ich fürchtete stets, Kyrre irgendwie und ganz unbeabsichtigt zu kränken. » Ich setze gerade Kaffee auf«, sagte ich. » Magst du auch eine Tasse?«
» Mach dir meinetwegen keine Umstände«, sagte er.
» Das Wasser kocht schon.« Plötzlich fühlte ich mich verlegen. Frank Verne war oben, in Mutters Allerheiligstem, und obwohl er nur gekommen war, um das Interview zu
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