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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burnside
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» Ich verstehe das nicht«, sagte ich. » Das ergibt doch keinen Sinn. Sie können nicht beide …«
    Kyrre schüttelte den Kopf. » Auf genau die gleiche Weise«, sagte er. » Sogar mit demselben Boot. Man sollte doch meinen …« Er verstummte und blickte durch das Seitenfenster hinaus auf den Malangenfjord. Das Wasser schimmerte silbrig, war hier und dort, wo eine leichte Bö darüberhin huschte, von vereinzeltem Grau durchzogen. » Irgendwas stimmt da nicht«, sagte er. » Das ist nicht recht.« Er musterte mich, als nähme er an, ich könne erraten, was er als Nächstes sagen wollte. Das konnte ich nicht, oder wenn doch, wollte ich nicht, dass der Gedanke in meinem Kopf Gestalt annahm, weil es mir lächerlich und zudem irgendwie obszön schien, das Vorgefallene in ein Märchen verwandeln zu wollen. » Irgendwas ist mit diesen Jungen passiert«, sagte er nach einer Weile. » Da steckt mehr dahinter …«
    Ich schüttelte den Kopf. » Nein«, sagte ich, denn jetzt wusste ich genau, worauf er hinauswollte. Das war eine seiner beliebtesten Redewendungen, wenn er die Zügel der Fantasie schießen ließ und die Welt, in der wir lebten, mit der alten, angeblich verschwundenen Welt verknüpfte, der Welt der Magie und der Geister, in der nichts so war, wie es schien, und in der in jeder fortgeworfenen Keksdose oder leeren, am Strand angespülten Flasche eine unbekannte Kraft steckte. Normalerweise kümmerte mich das nicht – meist gefielen mir seine alten Geschichten, und selbst als Kind wusste ich, dass sie eine Aufgabe erfüllten – eine, die damit zu tun hatte, wie wir Zeit wahrnahmen, und mit dem, was wir für selbstverständlich hielten –, an diesem Nachmittag aber ertrug ich es nicht. Ich schloss die Augen, als wollte ich seine Stimme ausblenden, und im selben Moment verstummte er. Ich wartete noch kurz, dann schaute ich ihn an. » Das ist schrecklich«, sagte ich.
    Er erwiderte nichts, doch merkte ich ihm an, wie überrascht er war – und ich wusste, er hatte mich falsch verstanden. Nur wie genau, das wusste ich nicht . V ielleicht glaubte er, ich hätte was mit Harald gehabt oder täte nur, was sich gehörte, doch lag mir nichts daran, es herauszufinden oder ihn aufzuklären. Aus Respekt vor den Toten wollte ich nur, dass wir nicht weiter auf diese Weise über sie redeten, vielleicht aber – und ich bin mir sicher, dass Kyrres Vermutungen in diese Richtung gingen – hatte mich auch eine plötzliche, unangebrachte Furcht gepackt. Irgendein Aberglaube. Wieder musste ich an Frau Sigfridsson denken, und ich fragte mich, was sie wohl tat, nun, da ihre Jungen tot waren. Mats und Harald waren nichts Außergewöhnliches gewesen, in dieser Hinsicht unterschieden sie sich kaum von mir. Sie hatten keine besonderen Charaktereigenschaften gehabt und keinen Ärger gemacht; eine Zeit lang würde man sich an sie erinnern, um sie dann still zu vergessen. Eigentlich kannte niemand sie gut genug, um sie betrauern zu können – und auch in dieser Hinsicht waren sie mir gar nicht so unähnlich. Der einzige Unterschied zwischen uns war der, dass ich keinen Bruder hatte. Ich sagte mir, dass Frau Sigfridsson sie nicht vergessen würde, allerdings war ihr auch niemand geblieben, der sie von ihrer Trauer ablenken konnte. Einen Mann hatte sie nicht mehr und keine weiteren Kinder – was mir ebenfalls beunruhigend vertraut vorkam. Ich fragte mich, was Mutter wohl empfunden hätte, wenn ich ertrunken wäre. Wie würde sie es hinnehmen? Würde sie weiterhin in unserem grauen Haus inmitten ihres exotischen Gartens wohnen können? Würde es am Samstagmorgen nach wie vor Teepartys geben? Würde sie weiterhin eine Welt malen, die mich von ihr genommen hatte?
    Kyrre beobachtete mich, den Blick starr auf mein Gesicht gerichtet. » Ich kann gar nicht glauben, dass du noch nichts davon gehört hast«, sagte er. » Alle reden darüber.« Er schnaubte und machte sich wieder an die Arbeit. » Auch wenn sie es natürlich nicht verstehen.«
    » Was nicht verstehen?«
    Er sah nicht auf. Er hatte etwas Interessantes im Trockner entdeckt. » Sie halten es für einen Zufall«, sagte er mit hohl widerhallender Stimme. » Sie denken, es sei nur ein Unglück.« Er hob den Kopf, und seine Stimme hörte sich wieder normal an. Ein alter Mann, der redete. » Sie begreifen nicht, dass diese Jungen auserwählt wurden.«
    » Wurden sie nicht«, sagte ich, und es ärgerte mich, dass er wieder bei seinem Lieblingsthema war. » Das ist einfach blöd.«
    Er

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