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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burnside
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hinausgehen wollten. Hier war es auch, wo Mutter auf einem alten, mit Kübeln, leeren Saatpackungen und Häuflein getrockneten Torfs übersäten Tisch gleich hinter der Tür Pflanzen umtopfte oder verzog. Kyrre bahnte sich einen Weg durch das Labyrinth und machte sich ans Werk. Eine Zeit lang sagte er kein Wort, brummelte nur vor sich hin, murmelte Unverständliches und stieß seltsame, kurze, fast lautlose Pfeiftöne aus. Ich hörte zu. Oben blieb es ruhig. Und als müsste er sich einen großen Ruck geben, begann Kyrre schließlich zu reden. Er gab sich bei jeder Gelegenheit gern bedeutungsschwer, doch hatte er es diesmal tatsächlich mit einer wahren Tragödie zu tun. » Schreckliche Sache, das mit Harald Sigfridsson«, sagte er. Mittlerweile lag er auf den Knien und stierte in die Trockentrommel.
    » Was für eine Sache?«, fragte ich, doch ehe er antwortete, wusste ich, was er sagen würde.
    » Hast du noch nichts davon gehört?« Er schien überrascht, dabei bestand dazu eigentlich kein Grund. Wenn im Sommer die Schule aus war, sahen Mutter und ich manchmal tagelang keinen Menschen, weshalb unsere einzigen Informationsquellen die Gäste der samstäglichen Teeparty waren. Kyrre blickte auf. » Harald ist ertrunken«, sagte er. » Genau wie sein Bruder.«
    Irgendwie hatte ich gewusst, was er sagen würde, das schwöre ich, trotzdem schockierte es mich, als ich die Worte tatsächlich aus seinem Mund hörte. Weil es natürlich unmöglich war: Zwei Brüder ertrinken in nur wenigen Tagen Abstand. Wie konnte das passieren? Was hatte das zu bedeuten? » Nein«, sagte ich, » das geht nicht …« Plötzlich war mir, als müsste ich in Tränen ausbrechen – was mich erst recht schockierte, da mir diese Jungen nichts bedeuteten. Ich hatte sie kaum gekannt. Das Vorgefallene hätte für mich nur eine lokale Tragödie sein dürfen, Anlass zu etwas Neugierde und für jenes beiläufige Mitleid, das wir für die Hinterbliebenen empfinden. Es hätte nichts Persönliches sein sollen. » Wann ist es passiert?«
    Kyrre schüttelte den Kopf, doch konnte ich nicht sagen, ob vor Kummer oder weil es ihn überraschte, wie weltabgeschieden wir hier oben lebten. » Vor zwei Tagen.«
    Ja, ich muss gestehen, ich war schockiert, und das nicht nur angesichts des Geschehenen, sondern auch, weil ich so lange nichts davon geahnt hatte. Ich hätte nicht einmal zu sagen gewusst, ob die Männer des Beerdigungsinstituts Harald schon zurechtmachten, den Leichnam wuschen, ihm die besten Kleider anzogen und Make-up auftrugen, damit die Trauernden ihn in bester Erinnerung behielten. Oder begrub man ihn in einer geschlossenen Kiste? Durchaus möglich – ich hatte keine Ahnung, wie man Menschen bestattete. Ich hatte noch keinen gekannt, der gestorben war. Würde man Harald neben seinem Bruder beerdigen? Ich wusste nicht, ob Mats’ Begräbnis schon vorüber war; vielleicht lag er noch in der Leichenhalle und musste weitere Untersuchungen über sich ergehen lassen. Ich wusste nicht, wie dergleichen ablief, wusste zumindest nicht, was im echten Leben geschah. Was ich wusste, hatte ich aus dem Fernsehen. Ich konnte mir Frau Sigfridsson vorstellen, wie sie im Haus umherging, von einem Zimmer ins nächste, und sich die Schätze ihrer Jungen ansah – sie nicht berührte, sie nur ansah, als könnte sie ihre Tode durch Zauberei oder bloße Willenskraft rückgängig machen, solange sie alles nur so beließ, wie es am letzten Lebenstag der Jungen war. Sie ging umher, nahm Notiz von dem, was sie sah: Arbeiten, die sie in der Schule angefertigt hatten, als sie noch klein waren, Bücher, die sie gelesen, CD s, T-Shirts und alte Tagebücher, die sich mit den Jahren angesammelt hatten, Briefmarkenalben oder Sammelkarten, die einen Ehrenplatz auf dem Regal oder dem Schreibtisch einnahmen und nie mehr fortgeräumt worden waren. Der Haufen Schuhe und abgetragener Sneakers unten im Schrank. Die alten Comichefte unter dem Bett. Ich konnte sie im Licht des Schlafzimmerfensters stehen sehen wie eine Frau auf einem alten holländischen Bild, und ich konnte mir ausmalen, wie unerträglich es für sie sein musste, die verlorene Zärtlichkeit, die Banalität dieser gewöhnlichen Besitztümer. Doch war es unecht, eine Filmszene, einer jener typischen Momente, in denen der Beamte, der die Mutter des Opfers gerade darüber informiert hat, dass ihr Kind tot in einem flachen Grab im Wald gefunden worden war, sie beobachtete und darauf wartete, dass die Nachricht zu ihr durchsickerte.

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