In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten
musterte mich mit seltsam verletztem Blick, doch als er antworten wollte, ertönte irgendwo über uns ein Lachen. Nicht aus dem Atelier, wie ich gleich merkte. Vom Treppenabsatz. Erneut ließ Kyrre den Kopf sinken und begann, in seiner Werkzeugtasche zu kramen.
» Ich sag ihr, dass du da bist«, sagte ich, rührte mich aber nicht von der Stelle, und einige Sekunden später hörte ich, wie sich die Haustür öffnete und wieder schloss. Im selben Moment sagte Mutter etwas, und Frank Verne lachte erneut – ein überraschend lautes, tiefes, keineswegs nur höfliches Lachen. Es war das Lachen von jemandem, der glücklich war und dem es nichts ausmachte, dass man es ihm anmerkte. So glücklich, dass er vielleicht nicht gewollt hätte, wenn es jemand hörte, nur war ich mir da nicht sicher. Nicht bei diesem Mann. Er war kein Freier, sondern etwas anderes. Etwas Gefährliches. Kyrre musste es auch gehört haben, denn er behielt den Kopf unten und tat, als wäre er beschäftigt. Er wollte nicht, dass ich sein Gesicht sah – dabei hätte ich nicht sagen können, ob er seine Eifersucht verbergen wollte, seine Enttäuschung oder seine Verlegenheit darüber, dass ein Mann gerade, als wäre es das Normalste auf der Welt, mit der Frau, die Kyrre schon seit über einem Jahrzehnt stumm anbetete, aus der Tür und fortgegangen war.
***
An diesem Abend aßen wir zusammen im Esszimmer: Mutter, Frank Verne und ich. Tagsüber waren sie über die Wiesen spaziert, und Mutter hatte ihm stolz den Garten gezeigt, über das Wetter geredet und das Licht, die Farben, ihre frühe Karriere und die Ruhe, die sie im Norden fand. Ich sah sie von meinem Beobachtungsposten auf dem Treppenabsatz den Strand entlanggehen und versuchte, aus ihren Gesten, ihrer Körpersprache zu erraten, was tags zuvor zwischen ihnen vorgefallen war. Denn etwas war vorgefallen. Was es war, wusste ich nicht, doch fand ich es beunruhigend, dass meine Mutter sich im Verlauf nur eines einzigen Tages auf so subtile Weise verändert hatte. Sie wirkte glücklicher, entspannter, nicht mehr so konzentriert. Es war, als wäre dieser Frank Verne gar kein Fremder, sondern ein alter Freund, den sie nach Jahren der Stille und Einsamkeit aufs Neue kennenlernte. Kam sonst jemand zum Interview, redete sie stets offen über ihre Arbeit und ihre Ideen, doch redete sie, um des Redens willen, als wollte sie sich hinter Worten verstecken. Ich glaube, da sie es nicht über sich brachte, jemanden zu täuschen, überschüttete sie ihre Besucher mit Anekdoten und Theorien, bis ihnen keine andere Wahl blieb, als auf jene Geschichten zurückzugreifen, die sie von Anfang an schreiben wollten. Nichts von dem, was sie sagte, war sonderlich aufschlussreich. Aus irgendeinem Grund aber stellte dieser Frank Verne für sie eine Herausforderung dar. Sie wollte ihm etwas erzählen, das er in seinem Artikel verwenden konnte, wollte sich ihm öffnen. Das Problem war nur, dass es nichts herzuzeigen gab. Sie war tatsächlich, was sie tags zuvor zu sein behauptet hatte: eine von ihrer Arbeit besessene Malerin, die außer ihrem Garten und ihren Büchern keine Interessen besaß. Es gab nichts sonst – und wenn doch, wusste ich nichts davon.
Sie gingen lang spazieren – es war ein warmer, klarer, sehr stiller Tag, obwohl Regen vorhergesagt worden war –, dann kehrten sie über die Wiesen zum Haus zurück. Ich sah sie kommen und konnte erkennen, wie nahe sie sich waren, wie vertraut, allein daran, wie sie nebeneinander hergingen, daran, wie Mutter ihn ansah, wie ihre Körper aufeinander zudrifteten und sich wieder entfernten, sich beinahe berührten und voneinander lösten, das Ganze ein Spiel, das sie spielten, weil es ihnen gefiel, das sie in die Länge zogen, nur um zu sehen, wohin es führte. Ich beobachtete sie vom Fenster aus – und wollte nichts damit zu tun haben. Ich war mir nicht sicher, in was ich fürchtete hineingezogen zu werden – ich glaubte nicht, dass es dabei um eine Affäre ging, um Sex, was vielleicht naiv war –, doch war ich auch nicht so dumm zu glauben, ich könnte irgendwie daran teilhaben. Außerdem hatte ich wegen Kyrre Opdahl ein schlechtes Gewissen. Ich wusste nicht, warum es ihn verstörte, als er sah, dass Mutter mit Frank Verne ausging, doch wusste ich, dass es ihn verletzt und einige Mühe gekostet hatte, seinerseits aus dem Haus zu gehen, ohne mir zu zeigen, wie sehr er darunter litt. Nur waru m ? Ich wusste, wie gern er Mutter hatte, konnte aber nicht glauben, dass er im
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