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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burnside
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…«
    » Sie wären überrascht«, erwiderte ich fast ein wenig zu schnell. Ich warf meiner Mutter einen Blick von der Seite zu. » Hier passieren allerhand seltsame Dinge«, fuhr ich fort, » aber das ist eine lange Geschichte. Sie sollten mal mit unserem Nachbarn darüber reden …«
    Frank Verne sah Mutter an, als ob er etwas sagen wollte, blieb aber stumm. Dann drehte er sich erneut zu mir um. » Seltsame Dinge?«
    Ich nickte.
    » Was zum Beispiel?«
    » Na ja«, sagte ich, » gerade sind zwei Brüder verschwunden …« Ich wollte schon weiterreden, als ich spürte, wie angespannt Mutter auf die Erwähnung der Sigfridssons reagierte. Offenbar hatte sie es von Harald gehört, wenn auch nicht von mir, und ich glaube auch nicht, dass sie Kyrre getroffen hatte. Vielleicht hatte sie mit irgendwem in einem der Geschäfte in Kvaløysletta geredet. Und ich merkte ihr an, dass sie, was immer sie auch darüber wusste, nicht allzu glücklich mit diesem Gesprächsthema war.
    Frank Verne spürte gleichfalls ihre Veränderung, ignorierte sie aber. Wie hätte er auch anders können? Schließlich wollte er weder abweisend wirken noch meine Gefühle verletzen. » Was meinst du mit verschwunden?«
    Mutter stand auf. » Ständig verschwinden irgendwelche Leute«, sagte sie, während sie zum Schrank ging, um noch eine Flasche Wein zu holen. » Wenigstens das machen sie richtig.«
    Frank Verne wirkte überrascht. Vielleicht fand er sie, wenn auch nur einen Augenblick lang, ziemlich hartherzig. Nicht gegenüber den ertrunkenen Jungen, sondern mir gegenüber. Hartherzig auf vorgeblich ironische Weise natürlich, in der aber auch eine Warnung mitschwang, und es war deutlich, dass er kurz nicht wusste, was er sagen sollte – diesen einen Moment lang sahen wir beide zu, wie Mutter die Flasche hervorholte, sie entkorkte und auf den Tisch stellte. Dann setzte sie sich wieder.
    » Ist dir je aufgefallen, dass es in diesen alten Geschichten immer ums Verschwinden geht?«, sagte sie und wechselte das Thema, ohne das Thema zu wechseln. » Jemand tritt hinaus ins Mondlicht und ist plötzlich fort …«
    » Aber das ist nicht eine dieser Geschichten«, wandte ich ein.
    Mutter schaute mich an. Die Warnung war nicht länger zu übersehen, auch wenn sie nur in ihrem Blick lag und ich nicht glaubte, dass Frank Verne etwas davon mitbekam. Als sie weiterredete, tat sie es in einem unbeschwerten, angenehmen, leicht geheimnisvollen, doch auch spöttischen Ton. » Bist du dir sicher?«
    Ich sagte nichts dazu, schaute nur Frank Verne an. Er wirkte überrascht und interessiert, als dächte er, über etwas gestolpert zu sein, eine Offenbarung oder gar ein Geheimnis, das Mutter beinahe gegen ihren Willen preisgegeben hatte. Allerdings wüsste ich nicht zu sagen, ob sein Interesse als Journalist oder in irgendeiner anderen Funktion geweckt worden war. Ich glaube, Mutter spürte es ebenfalls, und vielleicht hatte sie denselben Gedanken – der für sie unter der Überschrift Zweifel daherkam –, stieß sie doch ein leises, trauriges Lachen aus, ein Lachen, das Mitgefühl mit Kyrre Opdahl verriet, mit seinen Sagen, seinem Aberglauben, aber auch mit all jenen, die seine verrückten Ideen teilten. » Es ist immer eine dieser Geschichten.« Ihr Blick ruhte auf mir, dann wandte sie sich an Frank Verne. » Die Winter sind lang«, sagte sie und füllte sein Glas wieder auf, » und die Sommer schlaflos; da wird von Zeit zu Zeit jeder mal verrückt.«
    ***
    Sobald der Anstand es erlaubte, ging ich zu Bett und lag eine Weile einfach nur da, um dem Geräusch ihrer Stimmen zu lauschen, die sich unter das dünne, seltsam wohlige Windrauschen im Dachgesims über mir mischten. Es war eine kühle, weiße Nacht und kein weiterer Laut zu hören. Eine Weile muss ich wohl eingenickt sein, doch wurde ich wieder wach, als Mutter Frank Verne ins Gästezimmer führte, und ich hörte mit aus Kummer und Verblüffung gemischten Gefühlen zu, wie sie ihm erklärte, was er als Gast wissen musste. Ihre Stimme war nur ein Flüstern, weshalb ich die Worte selbst nicht verstehen konnte, doch wusste ich, was gesagt wurde, und hörte hin und wieder auch ein leises, zustimmendes Murmeln von Frank Verne. Wo das Bad war, dass er sich bitte einfach nehmen solle, was er brauche, sollte er früh wach werden, und wo mein Zimmer lag, damit er mich nicht unnötig störte. Ich wusste all das, obwohl wir in der Zeit, in der wir dort wohnten, nie einen Gast über Nacht gehabt hatten, und ich konnte mir

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