Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burnside
Vom Netzwerk:
die beiden vorstellen, wie sie zögerlich und ein wenig verlegen in der Tür standen, möglicherweise versucht, sich anders zu benehmen, aber von der Tatsache daran gehindert, dass ich da war, nur wenige Schritte entfernt, dass ich wach war, vielleicht zuhörte oder ihre Anwesenheit auch nur spürte. Und dann, als alles gesagt worden war, was gesagt werden musste, hörte ich, wie Mutter ihm eine gute Nacht wünschte und die Tür zum Gästezimmer sich schloss. Einen Moment später fiel auch die Tür zu Mutters Zimmer zu, die gewöhnlich offen stand, und im Haus wurde es still, sah man einmal von einem gelegentlichen Knarren ab, wenn Frank Verne nebenan auf und ab ging und sich fragte, was hätte sein können.

***
    Einige Zeit später wurde ich plötzlich wach. Ich hörte nichts, spürte aber ihre Anwesenheit – Mutter und ihr Journalist, die in separaten Betten lagen, in geschlossenen Zimmern, von mir nur durch eine Wand getrennt, doch eigenartig vertraut und von magnetischer Anziehungskraft. Rasch stand ich auf, zog mich an und eilte, ohne mir erst einen Kaffee zu machen, nach draußen an die kühle Luft. Das stille, klare Ende der Nacht war angebrochen, kein Windhauch wehte, und über mir schimmerte ein seltsames Weiß, eine weiße Nacht jener Art, wie sie die alten Bilderbücher zeigten, die Kyrre mir, als ich noch kleiner war, jedes Jahr zu Weihnachten geschenkt hatte. Es war eine Welt, die für mich früher stets die übernatürliche gewesen war – nicht übernatürlich im Sinne dunkler Wälder oder einer felsigen Wildnis, in der Trolle lebten, eher von der Art: Romantischer, silberhaariger Junge trifft Geistermädchen am Strand. Eine Welt, in der alles schön und dem Untergang geweiht, zugleich aber eigenartig beruhigend war. Warum, wusste ich nicht, nur dachte ich an jene Geschichten stets mit einer gewissen Zärtlichkeit zurück und erinnerte mich, sie auch als Kind schon seltsam tröstlich gefunden zu haben. In den Geschichten besaßen alle einen Doppelgänger oder eine gespenstische Geliebte auf der anderen Seite einer ungenannten, unbestimmbaren Grenze, einer, die man auf keiner Land- oder Seekarte fand, über die aber von der einen zur anderen Seite reger Verkehr herrschte. Reger Verkehr und endlose Verwandlung – ich glaube, das hat mich so angezogen. Die Art, wie eines zu anderem wurde, wie eine Hand, die über das Wasser eines Sees dahinglitt, eintauchte und, wenn auch nur für einen Augenblick, die Kühle oder geisterhafte Ruhe einer angrenzenden Welt fühlte. Nicht dass ich an Geister und Trolle glaubte, und mich interessierten auch keine hübschen Prinzen oder siebte Söhne, nein: Was mir an dieser bebilderten Welt gefiel, war das, was sie über die Welt sagte, die ich bereits kannte – dass sie nämlich keineswegs so fest gefügt war, wie man mich glauben machen wollte, dass sie sich um mich herum veränderte, ständig neue Gestalt annahm. Für ein Kind hatte das etwas Verlockendes, zumindest hat es das für mich gehabt. In all den Jahren, in denen ich aufwuchs, bestand stets die Möglichkeit, dass die Welt mich überraschte, dass ich eines Morgens aufwachte und alles genauso vorfand, wie es tags zuvor gewesen, und es zugleich doch vollkommen anders war.
    Ich machte mich auf den Weg zum Strand. Es tat gut, allein zu sein. Unbemerkt zu sein. In einer solchen Nacht wäre Mutter normalerweise in ihrem Atelier, und falls sie zufällig nach hinten raus aus dem großen Fenster schaute, sähe sie grünliches Landlicht über den behauenen Steinen und dem Birkenwald, nicht aber dieses silbrige Uferlicht. Das war es, was sie tun sollte. Sie sollte im Atelier stehen und das nächste Bild für die nächste Ausstellung malen; sie sollte sich ganz und gar ihrer Arbeit widmen. Frank Verne sollte wieder in Tromsø sein, und Mutter sollte ihn in jenem Augenblick vergessen haben, in dem er sich verabschiedete, so wie sie uns alle vergaß, sobald sie die Tür zum Atelier hinter sich schloss und sich allein in dem aufhielt, was mir längst ihr natürlicher Lebensraum zu sein schien. Sie hätte diesen Fremden nicht in unserem Haus übernachten lassen sollen, hätte nicht in der Tür mit ihm stehen und eine Möglichkeit erwägen sollen, die keine war. So war Mutter nicht. Nicht in Wirklichkeit. Wäre sie, wer sie wirklich war, würde sie jetzt vor einem neuen Bild stehen, ihm zuhören und nicht an irgendeinen Mann denken. Zuhören, aufmerksam sein, nichts zwischen sich und ihre Arbeit kommen lassen. So hatte sie es

Weitere Kostenlose Bücher