In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten
Gallery mitgenommen, und wir hatten einen Tag in Kew Gardens verbracht, waren durch das Palm House spaziert und die alpinen Gärten – doch auch wenn ich sah, was Mutter meinte, wenn sie behauptete, dass es schön sei, gefiel es mir nicht besonders. Das Palmenhaus war heiß und stickig, und die alpinen Gärten kamen mir nur wie ein trauriger Ersatz für jene Gegend vor, die wir gerade erst verlassen hatten, jene Gegend, in die ich gehörte.
Eine Stunde später als vorgesehen fädelte ich mich am Flughafen Heathrow in die Schar der Reisenden ein, kurz vor der Landung hatte es einen Sicherheitsalarm gegeben, und jetzt waren überall Menschen: Geschäftsleute, die in zerknitterten Anzügen durch die Menge drängten, eine Gruppe französischer Kinder, die in der Warteschlange vor der Passkontrolle für Unruhe sorgten, ein halbes Dutzend chinesischer Frauen, die mit einem unglücklich dreinschauenden Angestellten in blauroter Uniform diskutierten. Ich hatte es nicht eilig. Wozu auch? Es dauerte über eine Stunde, ehe ich zum Bahnsteig kam und den Express in die Stadt nahm, den ersten von drei Zügen, die mich dahin bringen sollten, wo ich die nächsten Tage wohnen würde. Mutter hatte vorgeschlagen, etwas länger zu bleiben, einen Urlaub anzuhängen, aber ich hatte abgelehnt. Ich weiß nicht, warum, doch kaum waren wir uns einig, dass ich fliegen würde, begann ich mich wegen der Reise zu sorgen, noch während Mutter am Telefon die nötigen Reservierungen für mich machte, und ich war froh, dass ich nicht lang fortblieb. Auf der Fahrt nach Birmingham regnete es ohne Unterlass, nur gelegentlich fiel eine plötzliche Kaskade Sonnenlicht durch die Wolken, und die Felder und Hinterhöfe verwandelten sich wie auf einer Bühne, wenn überraschend die Scheinwerfer angehen. Es erinnerte mich an zu Hause, dieses Licht – gleich darauf war es wieder fort, und der Regen setzte aufs Neue ein, wurde heftiger, und draußen wurde es immer grauer, bis es, als ich zum zweiten Mal umsteigen musste, überhaupt kein Licht mehr zu geben schien. Kein Licht, aber auch keine Dunkelheit, nur ein verwaschenes, tristes, kaltes Grau, ein tief hängender Regenhimmel über Lagerhallen und Schrottplätzen, die zwischen den einzelnen Stationen an uns vorbeizogen.
Während des dritten Reiseabschnitts kam es zu einer weiteren Verzögerung, da der Zug anhielt und eine Viertelstunde lang einfach stehen blieb. Irgendwann aber kam ich schließlich an, wurde nass, als ich meine Reisetasche vom Zug zum Taxi trug, und stand um fünf Uhr nachmittags endlich im warmen, gemütlichen Foyer meines Hotels. Keine Ahnung, wie Mutter es aufgespürt hat, aber es war perfekt. Am Empfang stand eine ziemlich magere, junge Frau mit großen, dunklen Augen und tintenschwarzem, zu einem straffen Pferdeschwanz zurückgekämmtem Haar, eine Frisur, die sie wie eine Figur aus den von Mutter so geliebten Gorey-Cartoons aussehen ließ. Sie sprach mit Akzent, möglicherweise Irisch, aber auf dem goldenen Namensschildchen ihrer Jacke stand Françoise , was mir nicht besonders irisch klang. Sie war sehr höflich, lächelte jedoch nicht, als sie mir den Schlüssel reichte, wünschte mir nur einen angenehmen Aufenthalt, worüber ich froh war. Ich wollte nicht, dass die Leute freundlich zu mir waren; ich wollte, dass sie ihren Job machten, um mich dann, wenn ich hatte, was ich brauchte, in Ruhe zu lassen.
Das Hotel war ein altes Gebäude mit eigenem Garten in einer, laut Broschüre, ruhigen, baumbestandenen Straße, nur wenige Minuten vom Stadtzentrum entfernt. Ich nahm an, dass Mutter es ausgesucht hatte, weil es ein Familienbetrieb war, was meist klein bedeutet – und auf den ersten Blick wirkte es tatsächlich eher wie ein großes Privathaus und nicht wie ein Hotel. Die Lobby mit gedämpftem Licht war auf angenehme Weise mit Messingskulpturen von Pferden und Hunden bestückt, die in goldenem Lampenlicht auf ramponierten Kommoden standen; an der Wand gegenüber vom Empfang waren Regale voller Bücher, in denen seit Jahren niemand mehr gelesen hatte – Kyrre Opdahl hätte das gefallen –, wodurch das Hotel einladend wirkte, fast wie ein Haus aus früheren, besseren Tagen, als die Zeit noch langsamer verging und man zusehen konnte, wie Tische und Vasen Patina ansetzten. Mein Zimmer war einfach und schlicht: ein Bett, ein Schrank, ein Tisch, eine Lampe, die in Erwartung meiner Ankunft eingeschaltet worden war, aber kein Zierrat, keine Skulpturen, keine zerlesenen Bücher. An der Wand
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