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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burnside
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regiert.
    Wie der Umschlag war der Inhalt des Briefes mit Maschine geschrieben, und nichts verriet, wer ihn mir geschickt hatte. Er enthielt keinerlei weiteren Hinweis, nur diesen einen Absatz, mitten auf die Seite geschrieben. Sorgsam las ich die Worte. Dann noch einmal:
    Folglich muss der Mensch, der hinaus in die Wüste wandert, um zu sich selbst zu finden, dafür Sorge tragen, dass er nicht irre und ein Diener dessen werde, der dort im leblosen Paradies der Leere und der Raserei regiert.
    Es war absurd. Der Brief hatte überhaupt nichts zu bedeuten, doch wusste ich, dass mir sein Verfasser etwas sehr Bestimmtes zu verstehen geben wollte. Nur wer hatte ihn geschickt? Ich konnte mich nicht daran erinnern, Kate Thompson gesagt zu haben, in welchem Hotel ich abgestiegen war, und sonst gab es niemanden in anderthalbtausend Kilometern Umkreis um dieses Hotel, der auch nur meinen Namen kannte. Wenn diese Worte also jemandem galten, dann fraglos meiner Mutter und nicht mir, schließlich war sie es, die als Einsiedlerin galt, und sie war es auch, die sich hinaus in die Wüste gewagt hatte, nicht ich. Dabei war es nur für das ungeübte Auge eine Wüste und Mutters Anwesenheit darin zweckdienlich und notwendig. Ihr Umzug war kein Rückzug gewesen, sondern ein Akt des Glaubens, des Glaubens an ihre Arbeit und an den eigenen Verstand. Und mit dem Teufel hatte er schon gar nichts zu tun.
    Wer hatte diese Worte geschrieben? Und wer hatte sie getippt und mir geschickt? Dieselbe Person? Das nahm ich nicht an. Die Zeilen stammten aus irgendeinem großartigen Buch, einem Klassiker der Theologie oder Literatur – und ich war mir sicher, hätte ich sie Mutter zeigen können, hätte sie mir gleich und ohne auch nur nachdenken zu müssen den Namen des Autors genannt. Das Zitat kam mir sogar bekannt vor, ein Auszug von etwas, was mir vertraut schien, wenn auch nicht so vertraut, dass ich es einzuordnen vermochte. Ich las den Text noch einmal und war überzeugt, die Worte schon einmal gelesen zu haben. Nur wo? Wann? Und wer hatte sie so sorgsam abgetippt und mir geschickt? Hatte ich Kate Thompson etwas gesagt, das mich verraten hatte, ihr nicht gerade den Namen des Hotels genannt, aber vielleicht einen Hinweis gegeben, einen Fingerzeig, durch den sie herausgefunden hatte, wo ich mich aufhielt? Das nahm ich nicht an, nur hätte mir niemand sonst den Brief schicken können. Niemand wusste überhaupt, dass ich hier war, niemand außer Mutter.
    Ich griff nach dem Telefon und rief bei der Rezeption an. Es klingelte mehrere Male, ehe das Mädchen den Hörer abhob. » Wie kann ich Ihnen helfen, Miss Rossdal?«, fragte sie und klang ebenso höflich wie distanziert, kein Singsang mehr in der Stimme. Ich fragte mich, ob ihr Freund gegangen war.
    » Ich wollte nur … ich habe mich gefragt, ob Sie im Haus waren, als der Brief gebracht wurde.«
    » Der Brief?«
    » Ja, der Brief, den Sie mir gerade gegeben haben.«
    » Ach so, der Brief«, erwiderte sie und schwieg für einen Moment. » Nein«, fuhr sie schließlich ohne die leiseste Spur eines Bedauerns fort. » Renate hat den Brief entgegengenommen.«
    » Ich verstehe. Ist Renate jetzt da?«
    » Leider nicht.«
    » Nun, hat sie etwas gesagt?«
    » Wie meinen Sie das, Miss Rossdal?«
    » Ich meine, hat sie irgendwas über den Brief gesagt? Darüber, wer ihn gebracht hat?«
    » Leider nicht«, sagte sie. Ehe sie weitersprach, folgte eine kurze Stille, und ich spürte, dass ihr Freund noch nicht fort war, sondern direkt neben ihr stand und zuhörte. » Kann ich Ihnen sonst wie helfen, Miss Rossdal?«
    » Nein«, antwortete ich. » Ich werde Renate morgen selbst fragen …«
    » Renate kommt morgen nicht«, warf sie rasch ein.
    » Nein?«
    » Morgen hat sie frei«, sagte sie – und jetzt klang ihre Stimme überhaupt nicht mehr distanziert. In ihrem Ton lag eine Andeutung – ein Hauch von Spott oder Belustigung, und ich spürte, dass es sich bei der Person, mit der sie vorher zusammen gewesen war, der Person, die in diesem Augenblick direkt neben ihr stand, in Wahrheit um Renate handelte, obwohl dies, wie ich sehr wohl wusste, unmöglich der Fall sein konnte. Sie trieben ein Spiel mit mir, nur kam ich nicht darauf, was der Grund dafür sein könnte, und der Brief war Teil dieses Spiels. Womöglich nicht nur der Brief.
    » Was soll das?«, fragte ich. » Worauf wollen Sie hinaus?«, und ich wartete einen Augenblick auf ihre Antwort, doch sie sagte kein Wort mehr, und ich stellte mir vor, wie sie an

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