In ihrem Blut: Thriller (German Edition)
bemühte sich um Kontakt zu denjenigen, die gestern in der Praxis gewesen waren.
Berlin wusste, dass die Polizei ihr früher oder später einen Besuch abstatten würde. Sie würden alle Krankenakten durchforsten und alle regulären Patienten befragen. Aber das war Routine. Sie hatte nicht den ganzen Rezeptblock mitgenommen, nur ein paar Rezepte, und niemand konnte wissen, dass sie nicht von Lazenby ausgestellt worden waren. Man würde ihre Fälschung seiner Unterschrift nicht entdecken. Sie vertraute darauf, dass Mrs. Ranasinghe nichts sagen würde. Schließlich hatte die sich auch nicht ganz korrekt verhalten.
Berlin schaltete den Fernseher aus. Sie wollte nur noch schlafen, aber sobald sie die Augen schloss, sah sie das blaue Fleisch ihrer toten Informantin im Schleusenwasser auf und nieder dümpeln.
Sie schlug die Augen wieder auf.
Nestor hatte mit der Frage, was sie sonst noch über Juliet Bravo verschwiegen hatte, vielleicht einen Schuss ins Blaue gewagt, aber er hatte recht. Sie hatten sich etwa ein halbes Dutzend Mal getroffen, doch das war in ihren Berichten nicht aufgetaucht. Berlin hatte in der anderen Frau ein Echo ihrer eigenen Angst wahrgenommen. Es lagen mindestens zwanzig Jahre zwischen ihnen, aber das Alter war irrelevant. Nietzsche hatte davor gewarnt, allzu lange in den Abgrund zu blicken, weil er sonst zurückschaute. Sie hatten beide hineingeblickt und in der anderen die gleiche Reaktion gesehen: den festen Entschluss, keine Angst zu haben.
Berlin war es zuwider gewesen, das übliche Verfahren in Gang zu setzen. Dann wäre Juliet Bravo von einer Behörde angeleitet worden, die immer dieselbe Vorgehensweise gegenüber sogenannten Undercoveragenten praktizierte. Informanten waren meistens irgendwelche Opfer. Diese Frau passte nicht in das Schema der finanziell Benachteiligten. Sie hatte gesagt, sie wäre »etwas in der City«. Das konnte alles und jedes bedeuten.
Berlin berührte ihre Kehle, die Erinnerung an die grässlichen Wunden ihrer Informantin ließ sie würgen. Was immer sie war und welche Dämonen auch immer sie zum Verrat getrieben hatten, jetzt war sie Berlins Dämon. Sie wickelte die Bettdecke um sich, stand auf und setzte sich mit einer Flasche Talisker Single Malt an den Tisch.
Gab es da irgendeinen Hinweis in ihren ersten Gesprächen, was sie für ihren Ausschluss von der offiziellen Untersuchung entschädigen könnte?
Sie hörte, wie der Boiler gegen die sinkende Temperatur ankämpfte, zog die Decke enger um sich und betete, dass die Rohre nicht einfrieren und platzen würden.
Sie würde noch mal von Anfang an beginnen.
Als alle Standardnachforschungen nichts zutage brachten, hatte Berlin Juliet Bravo angerufen und gefragt, warum Doyle nirgendwo in den offiziellen Registrierungen der britischen Behörden vorkam.
»Bestimmt gibt es irgendwo ein Hindernis«, hatte sie nur gesagt. Ihr Zynismus war eine Spiegelung von Berlins eigenem Zynismus.
»Wissen Sie noch irgendwas anderes über ihn, das mir helfen könnte? Ohne irgendeinen vernünftigen Grund kann ich nichts unternehmen.« Nur aufgrund eines Anrufs bekam sie keine Genehmigung für eine Überwachung. Sie wartete auf eine Antwort, aber es kam keine. »Hallo? Sind Sie noch dran?«, hatte Berlin gefragt.
»Ja.«
Berlin versuchte es mit dem üblichen Argument und ihrer besten Hart-aber-fair-Stimme. Manchmal wirkte das. »Sie haben mir nicht mal Ihren Nachnamen genannt. Wir können aufgrund von unbestätigten anonymen Hinweisen nicht handeln. Das werden Sie sicherlich verstehen.«
Der innere Kampf am anderen Ende war deutlich zu spüren. Je mehr sie mir über Doyle erzählt, desto mehr verrät sie über sich selbst, dachte Berlin. Das ist das eigentliche Problem.
Sie versuchte es mit einer anderen Herangehensweise. »Warum verabreden wir uns nicht irgendwo, wo Sie sich sicher fühlen, und trinken zusammen einen Kaffee? Nennen Sie es eine Geste des guten Willens. Dann können wir sehen, wie wir weiterkommen.«
Zu ihrer völligen Überraschung hatte die Frau eingewilligt.
Die Informantin hatte sich als Mittdreißigerin beschrieben, durchschnittlich groß, mittlere Statur, schulterlange braune Haare, und gesagt, sie trüge ein schwarzes Kostüm und eine rosa gestreifte Bluse mit weißem Kragen und Manschetten.
Berlin kam etwas früher, um sich im Café der Tate Modern einen Platz zu suchen, von dem aus sie zumindest halbwegs einschätzen konnte, ob die Frau verfolgt wurde. Treffen unter vier Augen verstießen gegen die
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