In ihrem Blut: Thriller (German Edition)
wie sehr sie sich auch anstrengte. Coulthard sagte, sie hätten Wichtigeres zu tun, als sich um ihre Zielperson zu kümmern. Sie war aus dem Spiel. Berlin konnte Doyles Bewegungen nicht folgen, weder seine Verbündeten identifizieren noch seine Opfer aufspüren. Das bedeutete, sie konnte sie auch nicht mit dem verführerischen Vorschlag zu einer Zeugenaussage überreden, falls Doyle in den Knast ginge, wären sie ihre Schulden los.
Wegen des Versagens der Observierer gab es eine eklatante Lücke in der Überwachung. Aber das war unwichtig, denn als Nächstes erfuhr sie, dass Nestor die Akte geschlossen hatte. Sie hatte dagegen argumentieren wollen, aber er hatte abgewinkt und ihr aufgetragen, alle weiteren Maßnahmen an Coulthard zu überlassen.
Statt Juliet Bravo darüber zu informieren, dass alles vorbei war, hatte Berlin sich weiterhin mit ihr getroffen, in Bars in der Nähe von betriebsamen Bahnhöfen wie Waterloo oder Euston, doch von ihren Gesprächen lieferte Berlin keine Berichte. Beide hatten sie eine Vorliebe für guten Scotch. Aber da war noch mehr. Berlin fand selten Anschluss an andere Menschen, und sie wollte auf diesen hier nicht verzichten.
Sie unterhielten sich über ihre Kindheit in London und die Verkettung aus Vorurteilen, Mythen und Geschichten, in denen sie sich verfangen hatten. Es gab keine Hinweise auf Ehemänner oder Kinder als Maßstab für Erfolg. Ihr Austausch war aufrichtig, unsentimental. Er war eine Erleichterung.
Schließlich hatte sie Juliet Bravo mitteilen müssen, dass die Untersuchung eingestellt worden war. Die Heftigkeit, mit der ihre Informantin darauf reagierte, war eine Überraschung: Sie bestand darauf, dass Doyle damit nicht durchkommen durfte.
Berlin erwiderte, dass das bei Juliet Bravo lag: Sie musste Beweise vorlegen, irgendetwas, mit dem Berlin die Untersuchung wieder ankurbeln konnte, irgendetwas, das ihr Chef nicht ignorieren konnte.
Juliet Bravo sagte, sie würde die Beweise beibringen.
Als Berlin sie das nächste Mal sah, trieb sie im Limehouse-Schleusenbecken.
10
Berlin stand gegenüber dem Apartmenthaus, in dem Doyle angeblich wohnte. Nummer 14: eine ehemalige Sozialwohnung, die in den Achtzigern von ihrem Bewohner unter den neuen Thatcher-Gesetzen gekauft worden war. Alle sollten das Recht haben, eine schnelle Mark zu machen. Seither war die Wohnung mehrere Male weiterverkauft worden. Jetzt gehörte sie einer Firma, bei der Doyle nicht als Direktor aufgeführt war.
Doof und Doofer hatten noch mit dem Tele ein paar unscharfe Fotos von dem Wohnungsbewohner schießen können, bevor sie aufgeflogen waren. Die Fotos waren immer noch auf Berlins Handy gespeichert, damit Juliet Bravo sie identifizieren konnte, wenn sie sich an der Schleuse trafen. Dann sollte sie auch die eindeutigen Beweise liefern, die Berlin angefordert hatte.
Eine Forderung, die sich allem Anschein nach als todbringend erwiesen hatte.
Jetzt war Berlins Problem, dass sie bis ans Ende aller Tage auf der Straße stehen bleiben und sich in der düsteren Morgendämmerung einen abzittern konnte und niemanden sah, der Nummer 14 betrat oder verließ. Die Wohnung lag im zweiten Stock. Sie konnte sich ja wohl kaum auf dem Treppenabsatz herumdrücken. Der Blickwinkel von der Straße aus war zu spitz, und allein war es ihr nicht möglich, die Treppenaufgänge an den beiden Enden des Gebäudes überblicken. Observierungen hatten noch nie zu Berlins Stärken gehört. Sie sah sich um und versuchte, sich die Umgebung einzuprägen.
Die Wohnungen gewährten Aussicht auf das Gelände von Weaver’s Fields, in dessen Mitte sich ein Kinderspielplatz befand. Von dort aus konnte man direkt zum Eingang von Nummer 14 sehen. Ein kleiner Morgenspaziergang durch den Park war jetzt angesagt, gefolgt von etwas Schaukeln. Besser als die Muckibude und billiger.
Zwei Stunden später war sie völlig durchgefroren und hörte, wie der Verkehrslärm in der Bethnal Green Road anschwoll. Sie sah zwei Hundebesitzer mit ihren Hunden und eine kleine alte Dame der Kälte trotzen. Die alte Dame war tief über ihr Einkaufsvehikel gebeugt, eine Art Kreuzung zwischen einem Einkaufswagen und einem Rollator. Berlin saß jetzt auf der Rutsche und beobachtete ihren mühseligen Gang in der Erwartung, dass sie vorbeischlurfen würde.
Sie behielt die zweite Etage auf der anderen Seite des Parks fest im Blick und versuchte, der Langweile und Ablenkung zu widerstehen. Aber das Quietschen des Einkaufswagens stoppte, und als Berlin sich
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