In ihrem Blut: Thriller (German Edition)
Nestor nun zu seiner Obduktion abtransportiert wird, und wir erfahren endlich, ob er sich selbst in das Limehouse-Becken gestürzt hat oder ob ihm jemand geholfen hat.«
Thompson sah sich um – hier in der Haupteinsatzzentrale sollte eigentlich sein Führungsteam sein. Drei unbesetzte Schreibtische: Ein Kommissar fiel langfristig wegen Krankheit aus, während er das Ergebnis einer Untersuchung wegen Misshandlung eines Angeklagten abwartete, einer war auf einer Fortbildung in Bramshill, und einer war unterwegs und befragte Zeugen ein zweites Mal, weil die Befragung beim ersten Mal nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden war. Dann gab es noch Flint.
Thompson öffnete Dateien und überprüfte die letzten Einträge im Tätigkeitsbericht des Außenteams. Viel war es nicht. Er überprüfte die Protokoll-Datei des Dispatchers und das Protokoll, in dem die Gründe für die Veranlassung oder das Streichen bestimmter Befragungen aufgeführt werden sollten. Nicht ein Eintrag war aktuell.
»Diese Ermittlung ist festgefahren. Wir haben immer noch nichts gegen Gina Doyle gefunden«, knurrte Flint.
»Sie ist genauso ein großes Rätsel wie ihr Alter«, sinnierte Thompson.
Ihm fiel ein, wie Flint Berlin bei der ersten Fallbesprechung bezüglich der Motive der Informantin provoziert hatte. War die Tote eine brave Bürgerin, Doyles enttäuschte Tussi oder eins seiner Opfer? Es stellte sich heraus, dass alles falsch war. Sie war sein zorniges kleines Mädchen.
Doyle hatte erzählt, sie hätte ihm immer die Schuld am Verschwinden ihrer Mutter gegeben. Das war durchaus möglich. Thompson wusste, dass Wut und Abneigung aus der Kindheit – wirklich oder eingebildet – sogar im Herzen eines reifen Erwachsenen gedeihen konnten.
Aber Thompson wollte mehr als nur Doyles Erzählung, bevor er zufrieden war. Es gab einen Eintrag in dem mageren Änderungsprotokoll des Beamten, der den Hintergrund der Familie Doyle erforschen sollte. Anscheinend gab es eine alte Akte über sie.
Und warum lag die nicht auf seinem Tisch?
42
Berlin wollte Coulthard nur in Anwesenheit eines Gewerkschaftsvertreters gegenübertreten, obwohl sie in der Gewerkschaft zu bezweifeln schienen, dass sie ihren Job behalten würde. Der nicht gestellte Antrag zur Autorisierung der Durchführung einer CHIS und das Nichtbefolgen einer rechtsgültigen Anweisung, eine Ermittlung einzustellen, würde Vierteilen und Rädern zur Folge haben.
Trotzdem hatten sie widerwillig jemanden geschickt, der ein Auge auf das Verfahren haben sollte, einen schnöseligen Hochschulabsolventen, der sich zweifellos deshalb unter das niedere Gewerkschaftsvolk mischte, um Punkte für sein wichtigstes Ziel zu sammeln: eine Kandidatur bei der Vorwahl zu einem sicheren Laboursitz im Parlament. Sie hatten sich pünktlich um Viertel vor fünf im Foyer getroffen, damit Berlin ihn über die Sachlage informieren konnte. Jetzt sah sie zu, wie eine Patt-Situation entstand.
Der Gewerkschaftsfritze war stinksauer, als die Empfangsdame ihnen mitteilte, dass Mr. Coulthard bereits gegangen war und heute nicht mehr wiederkommen würde. Er wollte wissen, warum man sie nicht mithilfe dieser ultramodernen Erfindung Handy informiert hätte?
Gar keine Frage, die Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen beherrschte er bestens.
Die Empfangsdame machte ihm klar, dass sie seinen Ton nicht schätzte und dass sie nicht Coulthards Sekretärin war. Sie hatte diese Aufgabe nur zeitweise übernommen, und sie war auch nicht Nestors Assistentin gewesen. Alle Assistenten der oberen Führungsebene waren den jüngsten Sparmaßnahmen zum Opfer gefallen. Sogar ihre Arbeitszeit war reduziert worden, und deshalb war sie jetzt nur Teilzeit-Empfangsdame – wenn er also wirklich von der Gewerkschaft sei, könne er doch etwas dagegen unternehmen, wo er schon mal da sei, statt ihr das Leben schwer zu machen.
Der Gewerkschaftsfritze verschwand.
Berlins Verärgerung, dass er nach all der Mühe, die sie investiert hatte, einfach abgehauen war, wurde etwas gemildert durch die Erleichterung, dass ihre Anhörung in Sachen Disziplinarverfahren anscheinend vertagt worden war. Doch die Erleichterung wich rasch Besorgnis und Argwohn. Was für ein Spiel spielte Coulthard?
Die Empfangsdame hatte Berlin unter vier Augen mitgeteilt, dass alles ziemlich den Bach runterging, seitdem Mr. Nestor verblichen war. Es gab Gerüchte, dass die Regierung die Abteilung in einer anderen Behörde aufgehen lassen wollte, und das bedeutete natürlich, dass
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