In ihrem Blut: Thriller (German Edition)
fantasielos.
Schade.
»Das ist Catherine Berlin, Sir. Eine Kollegin«, hörte sie Thompson sagen.
Sie drehte sich zum Zimmer um und nickte Fernley-Price zu, der nicht zurücknicken konnte. Er hob seinen Stock ein paar Zentimeter zum Gruß und ließ sich dann vorsichtig auf einem Ledersessel nieder.
»Sie hatten wohl einen Unfall, Sir?«, erkundigte sich Thompson. Sie sah, dass er perplex war. Der Sinn des Ganzen war gewesen, die Stimme des Mannes zu hören, aber der war offensichtlich sprachlos.
»Wir wollten uns nur in ein paar Punkten Klarheit über Ihre Beziehung zu Ludovic Nestor verschaffen. Aber ich sehe, dass es Ihnen nicht gut geht. Als wir uns letztes Mal gesprochen haben, sagten Sie, er wäre einer Ihrer Kunden. Ja?«
Mit dem Stock einmal klopfen heißt ja, zweimal nein, dachte Berlin. Das war doch total hoffnungslos.
»Vielleicht könnten Sie aufschreiben, wann Sie ihn das letzte Mal gesehen haben?«
Fernley-Price stöhnte.
Er registrierte Berlins Blick auf die leeren Pizza-Schachteln, die schmutzigen Gläser und die schmuddeligen Hemden. Er sollte sich eine neue Putzfrau besorgen, dachte sie. Zweifellos hatte er eine Zugehfrau.
Fernley-Price hatte sich aus dem Sessel gestemmt und suchte auf seinem massiven Holzschreibtisch in einem Meer von Papieren nach seinem Terminkalender. Berlin hielt das für ein Täuschungsmanöver. Bestimmt hatte er einen elektronischen Kalender, wahrscheinlich einen Blackberry, genau wie er eine Putzfrau hatte. Er konnte vielleicht nicht sprechen, aber das hieß noch lange nicht, dass er sie nicht wie Deppen behandeln würde.
»Darf ich mal die Toilette benutzen?«, fragte sie.
Fernley-Price zeigte auf eine Tür, die vom Wohnzimmer abging. Sie vermied es, Thompson anzuschauen, aber sie fühlte, dass er ihr ein Warnsignal zusandte. Sie trat in den langen Flur und schloss leise die Tür hinter sich.
Dicker Teppichfußboden bedeckte den langen Flur, und die schweren Holztüren hingen wunderschön auf lautlosen Angeln. Perfekt. Sie wollte am anderen Ende anfangen, dann wäre sie wieder beim Wohnzimmer, wenn Thompson oder Fernley-Price nach ihr suchen würden.
Ihre Bewegungen waren schnell und präzise. Die erste Tür führte offensichtlich in ein Gästezimmer. Das Einzelbett war gemacht, und im Schrank oder auf dem Tisch war nichts zu finden.
Das nächste Zimmer war die Bibliothek. Bücherregale vom Boden bis zur Decke mit einer rollbaren Leiter. Beim Eintreten leuchtete ein schwaches Licht auf. Weichgepolsterte Sessel.
So lebte nicht halb London: So lebten die oberen Zehntausend. Laut Newsnight besaßen sie zweihundertdreiundsiebzig Mal so viel wie die Ärmsten. Berlin bezweifelte, dass Fernley-Price zum Kauf seiner Wohnung eine hundertzehnprozentige Hypothek benötigt hatte. Anders als sie, die es schließlich nur durch einen Banker und seinen Lockruf geschafft hatte: »Kein Guthaben? Keine Kreditwürdigkeit? Kein Problem!«
Sie zog die Tür zur Bibliothek wieder hinter sich zu. Blieben nur noch zwei Türen. Sie zögerte. Welche? Sie hörte Thompson im Wohnzimmer reden. Seine Stimme schien lauter zu werden – näherte er sich der Tür zum Flur, oder wollte er sie warnen? Sie entschied sich für die nächste Tür und öffnete sie.
Thompson war zunehmend genervt von Fernley-Price und fragte sich beunruhigt, was Berlin vorhatte. Er redete Fernley-Price immer lauter an, als wäre der taub. Fernley-Price war offensichtlich betrunken und wahrscheinlich zugedröhnt, aber Thompson meinte auch Widerstand und ein Verweigern jeder Kooperation zu erkennen.
In diesem Zustand war es sinnlos, ihn zur Wache mitzunehmen. Außerdem müsste er dann einen Arzt rufen, der Fernley-Price wahrscheinlich für nicht vernehmbar erklären würde. Also besser Berlin einsammeln und losfahren.
»Ich sehe nur mal nach, wo meine Kollegin bleibt«, sagte er.
Fernley-Price sah ihn verdutzt an, als hätte er vergessen, dass da noch jemand war.
In diesem Augenblick tauchte Berlin wieder auf. Thompson war erleichtert, aber dann öffnete sie den Mund.
»Wo ist Ihr Mantel, Sir?«, fragte sie Fernley-Price. »Wir möchten, dass Sie uns begleiten, wenn Sie nichts dagegen haben.«
Was zum Teufel hatte sie vor? Sie begegnete Thompsons Blick und nickte ihm zu, um ihm mitzuteilen, dass sie wusste, was sie tat. Wirklich?
Er beschloss mitzuspielen.
Fernley-Price war verwirrt. Er schwenkte seinen Stock in Berlins Richtung, als wollte er sie entlassen. Aber statt zurückzuweichen, ergriff sie den Stock,
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