In ihrem Blut: Thriller (German Edition)
keinen Kontakt mehr zu Gina, seitdem sie zu Hause ausgezogen ist. Er versuchte sie aufzuspüren und nutzte dazu seine Mittel und Wege, aber aufgrund seiner Aversion gegen die Polizei hat er das damals natürlich nicht gemeldet.«
»Hab ich gehört«, sagte Berlin.
Thompson wurde bewusst, dass er gerade dabei war, den Fall mit einer Zeugin zu diskutieren. Das war der Whisky, der da redete.
»Die Überprüfung der Standesamtsregister hat ergeben, dass die Mutter ihre Geburt gemeldet hatte, dass aber in der entsprechenden anderen Spalte ›Vater unbekannt‹ stand. Doch zweifellos war sie seine Tochter, wir haben das anhand der DNA überprüft.«
»Doyle mag keine belastenden Unterlagen«, sagte Berlin.
»Das ist eine Untertreibung«, erwiderte Thompson. »Es sieht nicht so aus, als hätte Gina den Namen ihrer Mutter – Baker – angenommen, jedenfalls haben wir nirgendwo was darüber gefunden. Auch nichts an ihren Kleidern. Und Sie wissen ja, ihr Handy, ihre Brieftasche, Handtasche – was immer sie bei sich trug, ist futsch. Die Taucher haben im Becken nichts finden können.«
»Haben Sie die alte Akte über Doyle gesehen?«, fragte Berlin.
»Noch nicht.« Thompson warf ihr einen vielsagenden Blick zu. Sie hatte den Anstand, peinlich berührt auszusehen; schnell nahm sie die Gläser und ging zum Tresen. Er musste jetzt zu einer Entscheidung kommen, und zwar schnell.
»Das müssen Sie mal probieren«, sagte sie, als sie mit zwei Single Malts zurückkam.
Wer A sagt, muss auch B sagen, entschied er. »Wissen Sie, Berlin, Sie wissen momentan wahrscheinlich mehr über sie als irgendwer sonst. Es gibt bestimmt etwas, das Ihnen aufgefallen ist und uns weiterhelfen könnte.«
Damit machte er klar, dass Informationen zu teilen keine Einbahnstraße war. Wahrscheinlich würde er es irgendwann bitterlich bereuen.
»Ich habe Ihnen alles gesagt. Sie war Mitte dreißig. Schicke Kostüme und Blusen. Londoner Akzent. Arbeitete irgendwo in der City. Ihre Mutter schwärmte seinerzeit für die Juliet-Bravo-Fernsehshow. Sie war sehr hübsch. Ich habe mal gesehen, wie so ein schmieriger Tourist sie angemacht hat. Ich würde sagen, sie hat sich nichts aus Männern gemacht.«
»Das haben Sie noch nie erwähnt.«
»Ach? Ich wüsste aber nicht, wie man sie damit hätte identifizieren können. Da ist sie auch wahrlich nicht die Einzige.«
»Und worüber haben Sie sich mit ihr bei Ihren Treffen unterhalten?«
»Über den Sinn des Lebens.«
Er sah, dass sie das ernst meinte.
»Da ist noch etwas.« Sie nippte an ihrem Whisky.
Thompson war schon seit vielen Jahren Polizist. Er wusste, dass Geduld sich letztlich immer lohnte. Er lehnte sich zurück und wartete, sah zu, wie sie das Pro und Kontra dieser neuen Zusammenarbeit gegeneinander abwog.
»Nestors Mailbox. Es gab noch jemanden. Aber ich weiß nicht, wen, und ich verfüge nicht über die technischen Möglichkeiten, um das rauszufinden.«
Sie holte ihre Kopfhörer aus der Tasche, steckte sie in den Computer und bot ihm einen Stöpsel an. Er nahm ihn, beugte sich vor und konzentrierte sich intensiv auf die körperlosen Stimmen in seinem Ohr.
»Spielen Sie es noch mal ab«, sagte er.
Berlin drückte auf Wiederholung. »Wer ist das? Haben Sie die Stimme erkannt?«
Er trank aus und stand auf.
Zu seiner Bestürzung tat Berlin das Gleiche.
51
Fernley-Price humpelte aus der Abtei – einem sehr diskreten Krankenhaus – auf die Great Portland Street. Gott sei Dank hatte er den Staatlichen Gesundheitsdienst vermeiden können. Er kannte sich in diesen Dingen nicht gut aus, aber er war sich sicher, dass man dort die Polizei hineingezogen hätte.
Neben ihm hielt ein Taxi, aber er winkte es weg und sah sich nach einer Bushaltestelle um. Eigentlich wusste er nicht, mit welcher Linie er nach Hause kommen würde. Schrecklich, er war wie ein hilfloses Neugeborenes. Sein Kiefer war mit Drähten geflickt worden, deshalb konnte er nur proteinhaltige Getränke durch einen Strohhalm trinken. Die Drogen, mit denen sie ihn abgefüllt hatten, waren ziemlich gut, aber sie hatten ihn ausgetrocknet, und nachdem der Alkohol sich verflüchtigt hatte, hatte eine fürchterliche Klarheit von ihm Besitz ergriffen. Er war so tief gesunken, wie ein Mensch nur sinken konnte.
Er müsste zur Polizei gehen und Doyle nach allen Regeln der Kunst anzeigen, aber das war eine hochriskante Strategie, die einen enormen Nachteil hatte, besonders ohne einen verdammt fähigen Anwalt. Er könnte sich den ganzen
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