In kalter Absicht
ihre Vorgesetzten.«
»Moment mal.«
Isak blieb stehen. Er nickte Kristiane zu, der sich ein riesiger Berner Sennenhund zugesellt hatte. Das Kind legte dem Tier die Arme um den Hals und jauchzte. Der Hund wedelte träge mit dem Schwanz.
»Du solltest dir einen Hund anschaffen«, sagte er leise. »Kristiane hat einen fantastischen Draht zu Hunden. Und es tut ihr gut, mit ihnen zusammenzusein.«
»Warum schaffst du dir keinen an?« erwiderte Inger Johanne mit scharfer Stimme. »Warum muß ums Verrecken immer ich alle Belastungen auf mich nehmen? Immer!«
Sie holte tief Luft und stieß sie dann durch die Lücke zwischen ihren Vorderzähnen wieder aus. Ein leises, gedehntes Pfeifen ertönte, und der Hund spitzte die schweren Ohren. Kristiane lachte laut.
»Vergiß es«, sagte er und schüttelte kurz den Kopf. »Und was ist dann passiert?«
»Das interessiert dich ja doch nicht.«
Isak Aanonsen fuhr sich mit einer mageren Hand durchs Gesicht.
»Doch. Ich begreife nicht, wie du so was sagen kannst. Ich habe deine ganze Geschichte angehört, und es interessiert mich sehr, wie es weitergeht. Was ist denn los mit dir?«
Kristiane hatte den Hund dazu gebracht, sich hinzulegen. Jetzt saß sie rittlings auf ihm und vergrub ihre Hände in seinem Fell. Sein Besitzer stand verwirrt daneben und starrte mit unverhohlener Angst Isak und Inger Johanne an.
»Keine Sorge«, sagte Isak laut und lief zu Hund und Kind hinüber. »Sie hat ein ganz besonderes Gespür für Tiere.«
»Ich muß schon sagen«, sagte der Mann.
Isak hob seine Tochter hoch, und der Hund stand auf. Sein Besitzer nahm ihn an die Leine und ging mit raschen Schritten Richtung Norden davon, wobei er sich ab und zu umschaute, als fürchtete er, dieses beängstigende Kind könnte sie verfolgen.
»Jetzt erzähl schon«, sagte Isak.
»Dam-di-rum-dam«, sang Kristiane.
»Ihr Chef lehnte ab«, sagte Inger Johanne kurz. »Meinte, sie solle die Sache auf sich beruhen lassen. Und ihre Arbeit erledigen. Als sie ihm sagte, daß sie sich schon alle Unterlagen besorgt und sie gründlich gelesen hatte, war er sichtlich verärgert. Als sie hinzufügte, daß sie von Seiers Unschuld überzeugt war, geriet er in Wut. Und jetzt kommt das Beängstigendste an der ganzen Sache.«
Kristiane nahm plötzlich ihre Hand.
»Mama«, sagte sie freundlich. »Meine Mama und ich.«
»Als Alvhild Sofienberg eines Tages ins Büro kam, waren die Unterlagen verschwunden.«
»Verschwunden? Einfach so?«
»Ja. Über einen Meter Dokumente. Spurlos verschwunden.«
»Spazieren«, sagte Kristiane. »Meine Mama und ich.«
»Und Papa«, sagte Inger Johanne.
»Und dann?«
Isak hatte die Stirn wieder gerunzelt. Die Ähnlichkeit mit seiner Tochter wurde dadurch noch deutlicher; das schmale Gesicht, die zusammengewachsenen Augenbrauen.
»Alvhild Sofienberg hat sich fast … gefürchtet. Auf jeden Fall hat sie nicht mehr gewagt, ihren Chef zu beknien, nachdem ihr schroff mitgeteilt worden war, die Ordner seien ›von der Polizei geholt‹ worden.«
Sie malte riesige Gänsefüßchen in die Luft.
»Aber so ganz unter der Hand, im verschwiegenen, hat sie dann dieses erfahren: Aksel Seier war entlassen worden.«
»Wie bitte?«
»Viele Jahre vor seiner Zeit. Freigelassen. Ganz einfach. Und ganz still und leise.«
Sie hatten den großen Parkplatz bei der Sporthochschule erreicht. Dort standen fast keine Autos. Schlammpfützen und tiefe Radspuren zogen sich kreuz und quer über den Platz, und unter drei großen Hängebirken stand Inger Johannes alter Opel Kadett neben Isaks Audi TT .
»Ich möchte das mal kurz zusammenfassen«, sagte Isak und hob die Handfläche, als wolle er einen heiligen Eid schwören. »Wir schreiben also das Jahr 1965. Wir befinden uns nicht im neunzehnten Jahrhundert. Und auch nicht im Krieg. Wir schreiben das Jahr 1965, das Jahr, in dem wir beide geboren worden sind, als die Bürokratie längst eingespielt war und Rechtssicherheit als fester Begriff galt. Also? War er einfach so auf freien Fuß gesetzt worden? Ich meine, es ist eigentlich ja gut und richtig, jemanden zu entlassen, der offenbar unschuldig ist, aber …«
»Genau. Wir haben hier ein großes Aber.«
»Papaauto«, sagte Kristiane und streichelte das silbergraue Sportmodell. »Käferauto. Autokäferauto.«
Die Erwachsenen lachten.
»Du bist mir eine Feine«, sagte Inger Johanne und band die Mütze fester unter Kristianes Kinn zu.
»Wo zum Teufel nimmt sie das bloß her?«
»Nicht fluchen«, mahnte Inger
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