In kalter Absicht
für Kristiane, führte dann endgültig zur Scheidung. Sie trennten sich nicht gerade in herzlichem Einvernehmen, aber doch mit einigermaßen intaktem Respekt voreinander.
Eine Diagnose konnte nie gestellt werden. Kristiane schwirrte in ihrer eigenen kleinen Welt umher, und die Ärzte schüttelten den Kopf. Vielleicht autistisch, sagten sie, runzelten aber die Stirn angesichts der offensichtlichen Kommunikationsfähigkeit der Kleinen und ihrem großen Bedürfnis nach Körperkontakt. Was spielt es denn für eine Rolle, fragte Isak, sie ist ein tolles Kind und sie ist unser Kind und ich gebe einen Scheißdreck darauf, was mit ihr nicht in Ordnung ist. Er begriff nicht, wie wichtig es war, eine Diagnose zu finden. Einen Therapieplan für sie aufzustellen. Es Kristiane zu ermöglichen, all ihre Potenziale auszuschöpfen.
Er war so verdammt verantwortungslos.
Sein Problem war, daß er nie ganz akzeptiert hatte, der Vater eines entwicklungsgestörten Kindes zu sein.
Isak schaute in den Spiegel. Inger Johanne sah jetzt älter aus. Müde. Sie nahm alles so schwer. Am liebsten hätte er vorgeschlagen, daß Kristiane fest bei ihm wohnte, nicht nur jede zweite Woche wie bisher. Er sah es doch jedesmal: Wenn er Kristiane nach seiner Woche zurückbrachte, war Inger Johanne guter Laune und einigermaßen ausgeruht. Wenn er am folgenden Sonntag seine Tochter zurückbekam, war Inger Johanne grau, verhärmt und ungeduldig. Das tat Kristiane nicht gut. Und dieser ewige Tanz um Fachleute und Besserwisser auch nicht. Es konnte doch unmöglich so wichtig sein herauszufinden, was der Kleinen fehlte. Wichtig war, daß ihr Herz jetzt in Ordnung war, daß sie Appetit hatte und daß es ihr gutging. Seine Tochter war glücklich. Da war er sich ganz sicher.
Inger Johanne war schon zu lange erwachsen. Früher, vor Kristiane, hatte er das anziehend gefunden. Sexy. Inger Johannes Ehrgeiz. Den Ernst, mit dem sie alle Aufgaben anging. Ihre Ambitionen. Ihre Effektivität. Er hatte sich in die frühreife Zielstrebigkeit verliebt, in ihren bewundernswerten Erfolg bei ihren Studien, in ihre Arbeit an der Universität.
Dann war Kristiane gekommen.
Er liebte dieses Kind. Sie war sein Kind. An Kristiane gab es nichts auszusetzen. Sie war nicht wie alle anderen, aber sie war sie selbst. Und das reichte. Die Meinung aller möglichen Spezialisten dazu, was ihr vielleicht fehlen mochte, spielte keine Rolle. Nur sah Inger Johanne das anders. Sie wollte immer allem auf den Grund gehen.
Sie war so verdammt verantwortungsbewußt.
Ihr Problem war, daß sie nie ganz akzeptiert hatte, die Mutter eines entwicklungsgestörten Kindes zu sein.
10
Hauptkommissar Yngvar Stubø sah aus wie ein amerikanischer Football-Spieler. Er war kräftig und durchaus übergewichtig, ohne jedoch überdurchschnittlich groß zu sein. Die zusätzlichen Kilo verteilten sich gleichmäßig über Schultern, Nacken und Oberschenkel. Sein schneeweißes Hemd spannte über dem Brustkasten. Aus seiner Hemdtasche, gleich über dem Herzen, ragten zwei Metallröhrchen. Ehe sie begriff, worum es sich dabei handelte, glaubte Inger Johanne Vik, der Mann trage Munition mit sich herum.
Er hatte sie mit dem Auto abholen lassen. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte jemand Inger Johanne Vik einen Wagen geschickt. Ihr war das unangenehm, sie hatte ihn gebeten, es sein zu lassen. Sie konnte gut die U- Bahn nehmen. Oder ein Taxi. Aber nein, Stubø bestand darauf. Er schickte einen Volvo, anonym und dunkelblau, mit einem jungen Mann am Steuer.
»Kommt mir vor wie beim Geheimdienst«, sagte sie mit verkniffenem Lächeln, als sie Stubø die Hand gab. »Dunkelblauer Volvo und stummer Fahrer mit Sonnenbrille.«
Sein Lachen war ebenso kräftig wie der Hals, aus dem es kam. Seine Zähne waren weiß und ebenmäßig, und auf der rechten Seite blitzte eine goldene Jacketkrone auf.
»Kümmern Sie sich nicht um Oskar. Der hat noch viel zu lernen.«
Ein leichter Zigarrenrauch hing in der Luft. Allerdings war kein Aschenbecher zu sehen. Der Schreibtisch war außergewöhnlich groß, mit tadellosen Ordnern auf der einen Seite und einem ausgeschalteten Computer auf der anderen. An der Wand über dem Sessel, in dem Stubø Platz nahm, hingen eine Karte von Norwegen, eine FBI -Plakette und ein großes Foto mit einem braunen Pferd. Es war im Sommer aufgenommen worden, auf einer Wiese voller Blumen. Das Pferd schüttelte sich, daß die Mähne nur so flog und seinen Kopf wie ein Heiligenschein umrahmte, der Blick war fest
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