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In kalter Absicht

In kalter Absicht

Titel: In kalter Absicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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auf die Kamera gerichtet.
    »Schönes Pferd«, sagte sie und zeigte auf das Foto. »Ist das Ihres?«
    »Sabra«, sagte er und lächelte wieder; dieser Mann lächelte andauernd. »Prachtvolles Tier. Danke, daß Sie gekommen sind. Ich habe Sie im Fernsehen gesehen.«
    Inger Johanne fragte sich, wie viele Menschen ihr während der vergangenen Tage genau diesen Satz gesagt hatten. Typisch, daß Isak als einziger diese ungeheuer peinliche Episode mit keinem Wort erwähnt hatte. Er sah aber auch nie fern. Inger Johannes Mutter dagegen hatte in der ersten halben Stunde nach der Sendung fünfmal angerufen; der Anrufbeantworter schleuderte Inger Johanne ihre schrille Stimme entgegen, sowie sie zur Tür hereinkam. Inger Johanne hatte sie nicht zurückgerufen. Was vier weitere Anrufe zur Folge hatte, einer wütender als der andere. In der Uni hatten sie ihr am nächsten Tag auf die Schulter geklopft. Manche hatten gelacht, andere waren aus Solidarität mit ihr überaus wütend gewesen. Die Kassiererin im Supermarkt hatte sich vertraulich zu ihr vorgebeugt und so laut geflüstert, daß die ganze Nachbarschaft es gehört haben mußte:
    »Ich hab Sie im Fernsehen gesehen.«
    Die Redaktion 21 brach offenbar sämtliche Zuschauerrekorde.
    »Sie waren gut«, sagte Stubø.
    »Gut? Ich konnte doch kaum etwas sagen.«
    »Sie haben das gesagt, was wichtig war. Daß Sie gegangen sind, hat mehr gesagt, als irgendwer von diesen anderen … eher begrenzt begabten Menschen absondern konnte. Sie haben meine Mail gelesen?«
    Sie nickte kurz.
    »Aber ich glaube, Sie liegen da ein wenig schief. Ich kann mir nicht vorstellen, wie ich Ihnen vielleicht helfen könnte. Ich bin nicht gerade …«
    »Ich habe Ihre Doktorarbeit gelesen«, fiel er ihr ins Wort. »Sehr interessant. In meinem Beruf …«
    Er schaute ihr ins Gesicht und verstummte. Seine Augen sahen bedauernd aus, als sei ihm seine Tätigkeit im Grunde peinlich.
    »Wir schaffen es meistens nicht, auf dem laufenden zu bleiben. Oder nur bei den Dingen, die für unsere Ermittlungen unmittelbar relevant zu sein scheinen. So wie das hier …«
    Er öffnete eine Schublade und zog ein Buch heraus. Inger Johanne erkannte sofort den Einband, auf dem ihr Name in kleinen Buchstaben über einer farblosen Winterlandschaft stand.
    »Ich bin wohl der einzige hier, der es gelesen hat. Schade. Es ist äußerst relevant.«
    »Wofür?«
    Wieder nahm sein Gesicht diesen mißmutigen, teilweise entschuldigenden Ausdruck an.
    »Für die polizeiliche Arbeit. Für alle, die versuchen, die Seele des Verbrechens zu verstehen.«
    »Die Seele des Verbrechens? Sind Sie sicher, daß Sie nicht des Verbrechers meinen?«
    »Gut aufgepaßt, Frau Professor. Gut aufgepaßt.«
    »Ich bin keine Professorin. Ich bin Universitätsdozentin.«
    »Ist das so wichtig?«
    »Ja.«
    »Warum?«
    »Warum …«
    »Ja. Spielt es wirklich eine Rolle, wie ich Sie nenne? Wenn ich Frau Professor sage, dann bedeutet das doch nur, daß ich weiß: Sie forschen und unterrichten an der Universität. Stimmt das nicht?«
    »Das schon, aber ist es nicht richtig, klarzustellen …«
    »Sich nicht größer zu machen, als man ist? Nicht die Formalitäten zu vernachlässigen? Wollten Sie das sagen?«
    Inger Johanne kniff die Augen zusammen und nahm die Brille ab. Langsam rieb sie mit dem Hemdzipfel über das linke Glas. Sie erkaufte sich Zeit. Jetzt war der Mann auf der anderen Seite des Tisches auf einen grauen Nebel reduziert, auf ein unbestimmtes Wesen ohne klare Konturen.
    »Mein Fach ist Präzision«, hörte sie das konturlose Gesicht weiterreden. »In großen wie in kleinen Dingen. Gute Polizeiarbeit besteht darin, einen Stein auf den anderen zu legen. Auf den Millimeter genau. Wenn ich schlampig vorgehe … wenn einer von meinen Leuten ein Haar übersieht, sich um eine Minute irrt, eine kleine Abkürzung einschlägt, weil wir glauben, etwas zu wissen, was wir strenggenommen noch gar nicht mit Sicherheit sagen können, dann …«
    Klatsch.
    Seine Hände schlugen gegeneinander, und Inger Johanne setzte ihre Brille wieder auf.
    »Dann sind wir übel dran«, fügte er leise hinzu. »Und ehrlich gesagt habe ich das langsam satt.«
    Was nun wirklich nicht ihr Problem war. Es konnte ihr egal sein, ob ein nicht mehr junger Hauptkommissar der Kriminalpolizei seine Arbeit satt hatte. Der Mann schien offenbar mit existenziellen Fragen zu ringen, die sie überhaupt nichts angingen.
    »Nicht die Arbeit an sich«, fügte er plötzlich hinzu und hielt ihr eine

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