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In kalter Absicht

In kalter Absicht

Titel: In kalter Absicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Rad war frisch lackiert und rot. Sie war schlank und hatte blaue Augen.
    Jetzt war Eva bereits seit über zehn Jahren bettlägerig.
    Ihre leblosen Arme lagen neben dem Körper. Langsam hob sie die rechte Hand und hielt sie ihm entgegen, als er das Krankenzimmer betrat. In einem Brief hatte sie geschrieben, Gott in Seiner Güte habe ihr die Herrschaft gerade über die rechte Hand erhalten. Damit sie noch immer Briefe schreiben könne. Ihre Beine waren gelähmt. Der linke Arm unbrauchbar.
    »Aksel«, sagte sie leise und gelassen, als habe sie ihn erwartet. »Mein Aksel.«
    Er zog einen Stuhl an das Bett heran. Dann fuhr er sich verlegen mit der Hand über seinen kurzgeschorenen Schädel und versuchte zu lächeln. Ihre Finger waren kalt, als sie seine Wange berührten. Früher waren sie immer warm gewesen, trocken, verspielt und warm. Trotzdem war es dieselbe Hand; er erkannte sie und mußte weinen.
    »Aksel«, sagte Eva noch einmal. »Danke dafür, daß du gekommen bist.«

63
    Karsten Åsli hatte seit Montag schlecht geschlafen. Tagsüber konnte er sich immerhin einreden, daß kein Grund zur Sorge bestehe. Yngvar Stubø war ja schließlich nicht wiedergekommen. Im Dorf wirkte alles normal. Niemand hatte sich dort unten nach ihm erkundigt.
    Nachts war alles schlimmer. Obwohl er jeden Abend eine lange Strecke lief, um seinen Körper zu ermüden, lag er bis zur Morgendämmerung wach. An diesem Morgen hatte er sich krank gemeldet. Das bereute er jetzt. Es war schlimmer, hier zu Hause untätig herumzulungern. Er hatte nichts zu tun. Sein Plan für den 19.   Juni war fertig. Nichts stand mehr aus, bis auf die Durchführung.
    Er könnte die Westwand anstreichen.
    Aber er konnte nicht ins Dorf, um Farbe zu kaufen, dort könnte er schließlich von einem Kollegen gesehen werden. Besser wäre es, bis nach Elverum zu fahren. Wenn ihm dort, was unwahrscheinlich war, jemand begegnete, könnte er behaupten, beim Arzt gewesen zu sein.
    Es war wirklich eine gute Idee. Als er sich ins Auto setzte, fühlte er sich gleich ruhiger.
    Laffen Sørnes fand endlich ein Auto, das für ihn in Frage kam. Einen Mazda 323, 1987er Modell. Irgendwer hatte es auf einem Waldweg abgestellt, halbwegs im Graben. Die Türen standen sogar offen. Laffen lächelte. Der Tank war noch voll. Der Motor hustete ein wenig, sprang aber schließlich doch an. Zum Glück kam er ohne Probleme hinauf auf die Straße. Einige hundert Meter tiefer im Wald gab es eine kleine Abzweigung, deshalb mußte er drehen.
    Besser war es, sofort nach Schweden zu fahren.
    Die Hubschrauber waren überall. Laffen hatte sich zu Fuß langsam bewegt, im Schutz der Bäume. Eigentlich hatte er nur nachts unterwegs sein wollen, aber auf diese Weise kam er nicht schnell genug vorwärts, deshalb mußte er den Tag zu Hilfe nehmen. Zweimal hatte er Leute gesehen, als er dumm genug gewesen war, ein Stück weit der Straße zu folgen. Er war so müde und auf dem glatten Asphalt war das Gehen leichter. Danach verschwand er wieder im Wald, und die Hubschrauber zogen sich zurück. Um offene Flächen mußte er auf jeden Fall einen Bogen machen. Ab und zu verirrte er sich ein wenig und mußte eine lange Ruhepause einlegen.
    Im Auto fühlte er sich sicherer, aber dennoch galt es, so weit wie möglich wegzukommen.
    Schweden lag im Osten. Und da die Sonne schien, wußte er, in welche Richtung er fahren mußte.
    Im Auto lag eine Sputnik-Kassette. Laffen sang mit. Bald hatte er eine größere Straße erreicht. Er war jetzt ruhig. Es tat gut, hinter einem Lenkrad zu sitzen. Beim letzten Mal hatten sie ihm den Arm gebrochen. Diesmal würden sie ihn sicher umbringen. Wenn er nicht schnell genug nach Schweden gelangte. Und das würde er schaffen. Sehr weit konnte es nicht mehr sein. Zwei Stunden vielleicht noch. Höchstens. Als er zuletzt in Schweden gewesen war, hatte er in einer Raststätte einen Heringsauflauf verzehrt. Etwas so Köstliches hatte er vorher noch nie gegessen.
    Außerdem war der Tabak billig in Schweden. Oder jedenfalls billiger als in Norwegen.
    Er beschleunigte sein Tempo.
    Karsten Åsli konzentrierte sich darauf, nicht zu schnell zu fahren. Er durfte keine Aufmerksamkeit erregen. Fünf, sechs Stundenkilometer über der zulässigen Geschwindigkeit waren das beste. Das normalste.
    Er bereute den ganzen Ausflug.
    Vermutlich hatte Bob ihn gesehen, als er an der Tankstelle vorbeigekommen war. Er winkte eifrig, obwohl Karsten so tat, als habe er nichts bemerkt. Bob würde gegenüber jemandem von der

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