In letzter Sekunde - Child, L: In letzter Sekunde - Echo Burning/ Reacher 05
ausstreckt. Der Aufprall setzt sich als Druckwelle durch den steifen Arm, das steife Schultergelenk und noch weiter fort. Wäre das Schulterbein nicht, könnte die Druckwelle das Genick erreichen und durch Wirbelbruch eine Querschnittslähmung verursachen. Oder sich ins Gehirn fortpflanzen und dort Bewusstlosigkeit oder vielleicht ein Dauerkoma bewirken. Aber da die Evolution clever ist, entscheidet sie sich für das geringste Übel: Das Schlüsselbein bricht und fängt so die einwirkende Kraft ab. Lästig und schmerzhaft, das steht fest, aber nicht lebensbedrohend. Eine richtige Sollbruchstelle. Generationen von Radfahrern, Inlineskatern und Reitern sollte dafür dankbar sein.«
»Ein Sturz kann nicht die einzige Ursache sein«, sagte Walker.
»Es ist die Haupt ursache«, meinte Black. »Und fast immer die einzige. Aber ich habe gelegentlich auch schon andere Schlüsselbeinbrüche gesehen. Ein von oben mit einem Baseballschläger gegen den Kopf geführter Schlag kann vorbeigehen und das Schlüsselbein treffen. Herabstürzende Balken in einem brennenden Gebäude können Helfern auf die Schultern fallen. Das habe ich bei Feuerwehrleuten gesehen.«
»Carmen Greer war nicht bei der Feuerwehr«, sagte Walker. »Und wir haben keinerlei Hinweis darauf, dass irgendwann ein Baseballschläger eine Rolle gespielt haben könnte.«
Keiner sprach. In der Stille war nur das Brummen der Klimaanlage zu hören.
»Okay«, begann Walker wieder. »Ich will’s mal folgendermaßen ausdrücken: Ich brauche Beweise dafür, dass diese Frau körperlich schwer misshandelt wurde. Lässt sich das aus diesem Material herauslesen?«
Black schwieg einige Zeit. Dann schüttelte er den Kopf. »Nein«, sagte er.
»Kein Hinweis? Nicht mal andeutungsweise?«
»Nein, leider nicht. Sie hatte eine normale Schwangerschaft und war eine vom Pech verfolgte Reiterin. Das ist alles, was ich hier sehe.«
»Kein begründeter Zweifel?«, fragte Walker. »Mehr brauche ich gar nicht. Eine Andeutung genügt bereits.«
»Es gibt keine.«
Walker machte eine kurze Pause. »Doktor, bei allem Respekt: Aus der Sicht eines Staatsanwalts sind Sie mir und meinen Kollegen in Texas öfter lästig gefallen, als ich mich im Augenblick erinnern kann. Es hat Zeiten gegeben, in denen wir uns nicht ganz sicher waren, was Sie vor Ihrer Aussage inhaliert hatten. Sie haben es immer verstanden, für alle möglichen Dinge die bizarrsten Erklärungen zu finden. Deshalb frage ich Sie jetzt: Gibt es irgendeine Möglichkeit, diese Sache anders zu interpretieren?«
Black gab keine Antwort.
»Entschuldigen Sie«, sagte Walker, »wenn ich Sie beleidigt habe.«
»Nicht so, wie Sie denken«, entgegnete Black. »Tatsache ist, dass ich noch nie irgendeine bizarre Erklärung abgegeben habe. Gibt es etwas, das den Angeklagten entlasten könnte, mache ich vor Gericht meine Aussage. Das ist doch klar. Aber Sie scheinen nicht zu begreifen, dass ich überhaupt nichts sage, wenn ich keinen Entlastungsbeweis sehe. Worüber Sie und Ihre Kollegen mit mir in Streit geraten sind, ist nur die Spitze des Eisbergs. In Fällen, die offenkundig aussichtslos sind, kommt’s nicht erst zur Verhandlung, weil ich
der Verteidigung zu einem Deal mit der Staatsanwaltschaft rate. Und es gibt eine ganze Menge Fälle, die offenkundig aussichtslos sind.«
»Fälle wie dieser hier?«
Black nickte. »Ja, leider. Wäre ich direkt von Mrs. Aaron als Gutachter angefordert worden, würde ich ihr sagen, dass ihre Mandantin nicht vertrauenswürdig ist. Und Sie haben Recht, ich sage das sehr ungern, weil ich auf eine lange und ehrenvolle Laufbahn zurückblicken kann, in der ich es immer vorgezogen habe, mich auf die Seite der Verteidigung zu stellen. Ungeachtet der damit verbundenen Gefahr, unsere Staatsanwälte gegen mich aufzubringen. Und diesen meinen Weg beabsichtige ich weiterzugehen bis an mein Lebensende. Was vielleicht nicht mehr lange auf sich warten lässt, wenn diese verdammte Hitze anhält.«
Er blickte in die Runde.
»Und aus diesem Grund muss ich mich jetzt von Ihnen verabschieden«, sagte er. »Tut mir Leid, dass ich Ihnen nicht helfen konnte, Mr. Walker. Wirklich. Das wäre höchst befriedigend gewesen.«
Er schob die Krankenakten zusammen und steckte sie in den FedEx-Umschlag zurück. Gab sie Reacher, der ihm am nächsten war. Dann stand er auf und ging zur Tür.
»Aber es muss doch irgendwas geben«, sagte Walker verzweifelt. »Ich kann’s nicht fassen! Ein einziges Mal im Leben möchte ich, dass
Weitere Kostenlose Bücher