In letzter Sekunde - Child, L: In letzter Sekunde - Echo Burning/ Reacher 05
ich nicht daran, einen Kerl zu ermorden, den ich nicht mal kenne.«
»Er schlägt mich, Reacher«, sagte sie. »Prügelt auf mich ein. Boxt mich, tritt mich, tut mir weh. Das macht ihm Spaß. Er lacht, während er mich misshandelt. Ich lebe die ganze Zeit in Angst.«
»Gehen Sie zu den Cops.«
»Zu dem Cop. Bei uns gibt’s nur einen. Und er würde mir nie glauben. Und selbst wenn er’s täte, würde er nichts dagegen unternehmen. Alle Männer, die was zu sagen haben, sind dick miteinander befreundet. Sie können sich nicht vorstellen, wie das hier ist.«
Reacher äußerte sich nicht dazu.
»Er kommt nach Hause«, sagte sie. »Können Sie sich vorstellen, was er mir antun wird?«
Er schwieg.
»Ich sitze in der Falle, Reacher. Wegen Ellie sitze ich hier hoffnungslos fest. Ist Ihnen das klar?«
Er sagte nichts.
»Warum wollen Sie mir nicht helfen? Liegt’s am Geld? Liegt’s daran, dass ich Ihnen nichts zahlen kann?«
Er sagte nichts.
»Ich bin verzweifelt«, fuhr sie fort. »Sie sind meine einzige Chance. Ich flehe Sie an. Warum wollen Sie mir nicht helfen? Ist es, weil ich Mexikanerin bin?«
Er sagte nichts.
»Liegt’s daran, dass ich bloß eine schmierige Bohnenfresserin bin? Für eine Weiße würden Sie’s tun, stimmt’s? Für jemanden wie Ihre Freundin? Ich wette, dass sie eine Weiße ist. Wahrscheinlich eine Blondine, oder?«
»Ja, sie ist eine Blondine«, antwortete er.
»Würde irgendein Kerl sie verprügeln, würden Sie ihn umbringen.«
Ja, das täte ich , dachte er.
»Und sie ist ohne Sie nach Europa abgehauen. Wollte Sie nicht dabeihaben. Aber für Sie würden Sie’s machen, und für mich wollen Sie’s nicht tun.«
»Das ist nicht das Gleiche«, sagte er zum dritten Mal.
»Ich weiß«, entgegnete sie. »Weil ich nur eine Bohnenfresserin bin. Ich bin’s eben nicht wert.«
Er schwieg.
»Wie heißt sie?«, fragte Carmen. »Ihre Freundin?«
»Jodie«, antwortete er.
»Okay, stellen Sie sich Jodie drüben in Europa vor. Sie gerät in eine schlimme Lage, wird jeden Tag von einem geistesgestörten Sadisten verprügelt. Sie erzählt Ihnen davon. Legt alles auf den Tisch. Alle schrecklichen, demütigenden Einzelheiten. Was würden Sie dann tun?«
Ihn umbringen , dachte er.
Sie nickte, als könne sie seine Gedanken lesen. »Aber für mich wollen Sie das nicht tun. Sie würden’s für eine Weiße tun, aber nicht für mich.«
Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, brachte aber keinen Ton heraus. Sie hatte Recht. Er würde es für Jodie Garber tun, aber nicht für Carmen Greer. Warum nicht? Weil das ein impulsiver Entschluss gewesen wäre. Man konnte ihn nicht erzwingen, man gab ihm einfach nach. War er nicht vorhanden, konnte man ihm nicht nachgeben. So simpel war das. Diesem Impuls hatte er in seinem Leben schon oft nachgegeben. Wer sich mit ihm anlegte, musste die Konsequenzen tragen. Legte sich jemand mit Jodie an, war das so, als hätte er sich mit ihm angelegt. Weil Jodie ein Stück von ihm war. Zumindest war sie das einmal gewesen. Auf Carmen traf das nicht zu. Und es würde nie zutreffen. Deshalb war dieser Impuls einfach nicht da.
»Hier geht’s nicht um Gringas oder Latinas«, sagte er ruhig.
Sie schwieg.
»Bitte, Carmen«, sagte er. »Das müssen Sie verstehen.«
»Worum geht’s also?«
»Es geht darum, dass ich sie kenne – und Sie nicht.«
»Und das macht einen Unterschied?«
»Natürlich.«
»Dann versuchen Sie doch, mich kennen zu lernen. Wir haben noch zwei Tage Zeit. Sie werden jetzt meiner Tochter begegnen. Lernen Sie uns kennen.«
Er sagte nichts. Sie fuhr weiter. Pecos 55 Meilen .
»Sie waren Polizeibeamter«, begann sie wieder. »Sie sollten sich verpflichtet fühlen, Leuten zu helfen. Oder haben Sie etwa Angst? Liegt’s daran? Sind Sie ein Feigling?«
Er gab keine Antwort.
»Sie können’s tun«, fuhr sie fort. »Sie haben’s schon früher getan. Also wissen Sie, wie man’s macht. Sie könnten’s tun und ungestraft davonkommen. Sie könnten seine Leiche irgendwohin bringen, wo sie kein Mensch findet. Draußen in der Wüste. Dort würde man sie nicht entdecken. Wenn Sie vorsichtig vorgehen, hätten Sie nichts zu befürchten. Sie würden nie gefasst. Sie sind clever genug.«
Er sagte nichts.
»Sind Sie clever genug? Wissen Sie, wie man’s machen muss? Wissen Sie das?«
»Natürlich weiß ich, was zu tun wäre«, antwortete er. »Aber ich tu’s nicht.«
»Warum nicht?«
»Das hab ich Ihnen schon gesagt. Weil ich kein Berufskiller
Weitere Kostenlose Bücher