In letzter Sekunde - Child, L: In letzter Sekunde - Echo Burning/ Reacher 05
zog Carmen hinter sich her.
Reacher sah fast drei Stunden lang niemanden als das Dienstmädchen. Er blieb in der Unterkunft. Jenny brachte ihm das Mittagessen und holte das Geschirr eine Stunde später wieder ab. Er trat zwischendurch mehrmals an das hohe Fenster im Waschraum, um das Haus zu beobachten, aber dort drüben blieb alles still. Erst am späten Nachmittag hörte er Stimmen hinter dem Pferdestall. Er ging hinaus und begegnete dort Sloop, Carmen und Ellie, die sich wohl ein wenig die Füße vertreten wollten. Es war noch immer sehr heiß. Sloop wirkte ruhelos. Er schwitzte stark, scharrte mit den Schuhen im Staub. Carmen wirkte sehr nervös. Ihr Gesicht war leicht gerötet. Vielleicht aus Nervosität oder Anspannung. Vielleicht auch wegen der Hitze. Aber es war auch denkbar, dass Sloop sie ein paar Mal ins Gesicht geschlagen hatte.
»Komm, Ellie, wir wollen nach deinem Pony sehen«, sagte sie, als Reacher auftauchte.
»Ich war erst heute Morgen da, Mami«, entgegnete Ellie.
Carmen streckte die Hand aus. »Aber ich nicht. Komm, wir sehen noch mal nach ihm.«
Ellie wirkte einen Moment verwirrt, aber dann ergriff sie Carmens Hand. Mutter und Tochter machten sich langsam auf den Weg zum Stalltor. Reden Sie mit ihm , formte Carmen stumm mit den Lippen, als sie an Reacher vorbeigingen. Sloop drehte sich um und sah ihnen nach. Machte dann wieder kehrt und musterte Reacher, als sehe er ihn zum ersten Mal.
»Sloop Greer«, stellte er sich vor und streckte ihm die rechte Hand hin.
Aus der Nähe betrachtet war er eine ältere, klügere Version von Bobby. Nur wenig älter, vielleicht viel klüger. In seinem Blick lag Intelligenz. Nicht unbedingt eine sympathische Intelligenz. Es war nicht schwierig, sie sich mit einer gewissen Grausamkeit gepaart vorzustellen. Reacher schüttelte ihm die Hand. Sie war grobknochig, aber weich. Die Hand
eines Mannes, der gern Schwächere schikaniert, nicht die eines Kämpfers.
»Jack Reacher«, sagte er. »Wie war’s im Gefängnis?«
In den Augen des anderen blitzte für einen winzigen Augenblick Überraschung auf. Aber sie wich sofort ruhiger Gelassenheit. Gute Selbstbeherrschung , dachte Reacher.
»Ziemlich scheußlich«, antwortete Sloop. »Waren Sie auch schon mal drin?«
Auch geistesgegenwärtig .
»Nur auf der anderen Seite der Gitter«, erwiderte Reacher.
Sloop nickte. »Bobby hat mir erzählt, dass Sie ein Cop waren. Jetzt sind Sie ein Wanderarbeiter.«
»Ich muss arbeiten, um leben zu können. Ich hatte keinen reichen Vater.«
Sloop machte eine kurze Pause. »Sie waren beim Militär, stimmt’s? Bei der Army?«
»Richtig, in der Army.«
»Aus dem Militär habe ich mir nie viel gemacht.«
»Das dachte ich mir schon.«
»Yeah, wieso?«
»Nun, Sie haben sich dafür entschieden, nicht dafür zu zahlen, hört man.«
In den Augen blitzte erneut etwas auf, das ebenso rasch wieder verschwand. Nicht leicht zu provozieren , dachte Reacher. Aber im Gefängnis lernt man bald, seine Gefühle gut zu verbergen .
»Schade, dass Sie sich auf einen Deal eingelassen haben, um vorzeitig rauszukommen.«
»Finden Sie?«
Reacher nickte. »Wer die Strafe nicht aushält, soll das Verbrechen nicht begehen.«
»Sie sind aus der Army ausgeschieden. Vielleicht konnten Sie’s auch nicht mehr aushalten.«
Reacher lächelte. Danke für die Gelegenheit , dachte er.
»Mir ist nichts anderes übrig geblieben«, sagte er. »Tatsächlich haben sie mich rausgeworfen.«
»Yeah, warum?«
»Ich hatte mich auch strafbar gemacht.«
»So? Wodurch?«
»Irgendein Drecksack von einem Oberst hat seine Frau geschlagen. Eine nette junge Frau. Er war ein Heimlichtuer, hat immer darauf geachtet, alle Spuren zu verwischen. Also konnte ich ihm nichts nachweisen. Aber er sollte nicht ungestraft davonkommen. Das wäre nicht recht gewesen. Weil ich Männer, die Frauen schlagen, nicht leiden kann. Also habe ich ihn eines Nachts abgepasst. Ohne Zeugen. Jetzt sitzt er im Rollstuhl. Muss einen Trinkhalm benutzen. Trägt ein Lätzchen, weil er ständig sabbert.«
Sloop äußerte sich nicht dazu. Er schwieg so verbissen, dass die Haut in seinen Augenwinkeln sich dunkelrot verfärbte. Gehst du jetzt, dachte Reacher, dann kommt das einem Geständnis gleich. Doch Sloop blieb, wo er war, stand ganz still, starrte blicklos ins Leere, schwieg. Dann fasste er sich wieder. Sein Blick richtete sich wieder auf Reacher. Nicht schnell, aber auch nicht zu langsam. Ein cleverer Bursche.
»Nun, das rechtfertigt wohl,
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