In letzter Sekunde
nicht, dass du es wert bist?"
War sie es? Manchmal war sie sich nicht sicher. „Ich habe in meinem Leben eine Menge Fehler begangen", gab sie zu.
„Jeder macht Fehler."
Lynn öffnete die Tür und stieg aus. „Aber keinen, der die eigene Schwester das Leben kostet."
5. KAPITEL
Lynn war so flink aus dem Wagen und eilte Richtung Eingang, dass Blade nicht nachfragen konnte.
„Beeil dich, Blade", rief sie ihm zu, bevor sie die Tür zum Gebäude aufstieß. „Ich arbeite schnell, und du willst doch nicht zurückbleiben, oder?"
Am Tresen des Wachmanns holte er sie ein. Der Mann war jung, vielleicht gerade volljährig, und starrte Lynn verwundert an. Vor allem ihren nackten Bauch.
Blade räusperte sich, und der junge Mann blickte schuldbewusst auf. „Kann ich Ihnen helfen?"
„Sie sind neu hier, nicht wahr, Keith?" sagte Lynn nach einem kurzen Blick auf sein Namensschild und holte ihren Hausausweis heraus. „Sonst würden Sie wissen, dass ich öfters spät arbeite. Evelyn Cross."
Der Mann sah sie unsicher an. „Es ist mitten in der Nacht." Sein Blick flog von ihr zum Ausweisfoto. „Das sieht Ihnen gar nicht ähnlich."
„Ich gehöre nicht zu denen, die ihre Berufskleidung rund um die Uhr tragen. Schauen Sie sich mein Gesicht an", forderte sie ihn auf und schob ihr Haar zur Seite, „nicht meinen Bauch."
Der Mann errötete und gehorchte. „Ja, okay, Sie sind es wohl." Leicht nervös schob er ihr ein Klemmbrett und einen Kugelschreiber zu. „Sie müssen bei Betreten und beim Verlassen des Hauses unterschreiben." Er warf einen Blick auf Blade. „Was ist mit ihm?"
Lynn unterschrieb und reichte dann Blade das Klemmbrett. „Offensichtlich ist er mit mir gekommen, oder?"
Sie gab sich ruhig und professionell, so ganz anders als die verängstigte Frau, die sich auf der Flucht befand.
Als sie sich abwandten und zum Fahrstuhl gingen, sagte sie leise zu ihm: „Entweder werden die Wachmänner immer jünger oder ich werde älter."
„Zumindest alt genug, um diese Sache hier glänzend zu regeln." Blade musste zugeben, er war beeindruckt. Allerdings hatte Evelyn Cross beruflich nicht umsonst diesen Erfolg. Da fiel ihm ihre Bemerkung wieder ein. „Diese Sache mit deiner Schwester..."
„Ich hätte nichts davon sagen sollen."
„Hast du aber. Es lastet offenbar auf dir, du solltest also darüber reden", beharrte Blade.
„Was geschah?"
Sie seufzte. „Lorraine war Sozialarbeiterin. Eine meiner Mandantinnen war mit einem Mann verheiratet, der sie aus religiösen Gründen von der Welt abschottete. Irgendwann kam sie zu mir, um sich scheiden zu lassen. Doch eines Tages zog sie das Scheidungsbegehren zurück. Ich vermutete, dass sie entweder unter Druck gesetzt wurde oder sich ausmalte, was ihr und ihren Kindern passieren könnte, wenn sie ihren Mann verließ. So bat ich meine Schwester, mit ihr zu sprechen, sie zu beraten, was Unterkunft und Hilfsprogramme für Frauen in ihrer Lage betraf. Meine Schuld ist es, dass Lorraine sich zur falschen Zeit am falschen Ort aufhielt. Und nun ist sie tot."
Die Fahrstuhltüren öffneten sich, doch Blade stand wie erstarrt da. „Aber du warst nicht verantwortlich dafür..."
„Doch, das war ich. Ich schickte sie in diese Gegend, und man hat sie auf offener Straße erschossen. Ihr Mörder kam nicht vor Gericht, da er nie gefasst wurde. Mich trifft jedoch genauso viel Schuld, weil Lorraine sich auf meine Bitte hin dort aufhielt."
Sie wird diesem Mann niemals vergeben, dachte Blade. Der Druck in seinem Magen nahm zu. Wenn sie nicht einmal sich selbst vergibt...
Was würde sie tun, wenn sie die Wahrheit herausfand?
Er war der Mann, der Lorraine Cross aus Versehen umgebracht hatte.
Sobald Lynn ihr geräumiges, klassisch elegant ausgestattetes Büro betreten hatte, strebte sie zu den Aktenschränken, die eine ganze Wand einnahmen. Sie zog gut ein Dutzend Akten von Fällen des letzten Jahres heraus und legte sie auf den Kirschholzschreibtisch.
„Womit beginnen wir?" fragte Blade und ließ sich in einen der Sessel vor dem Schreibtisch sinken.
„Du gar nicht. Dies sind vertrauliche Akten. Zumindest einige der Daten, die meine Mandanten betreffen." Außerdem wollte sie das Gefühl haben, wenigstens einen Teil ihres Lebens allein bestimmen zu können.
Konzentriert ging sie die einzelnen Akten durch, in denen sie auch Informationen und Eindrücke über die Ehemänner und Freunde ihrer Mandantinnen vermerkt hatte. Viele von ihnen waren gar nicht gut auf sie zu sprechen gewesen,
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