In letzter Sekunde
und war nur froh darüber, sie los zu sein.
Den Berechnungen der Polizei nach, verständigt von Hotelgästen, die Lynns Schreie gehört hatten, war sie ungefähr sechsunddreißig Stunden in der Gewalt ihres Entführers gewesen.
Wer immer er auch war.
Lynn beschloss, ihn einfach zu vergessen. Doch das war leichter gesagt als getan.
Wir sehen uns wieder...
Nachdem sie einmal tief durchgeatmet hatte, band sie ihr Haar zusammen und verließ das Zimmer.
Auf der Fahrt zurück nach Haus war sie ziemlich angespannt. Trotz aller Bemühungen der Polizistin, sie in eine angeregte Unterhaltung zu verwickeln, merkte Lynn, wie die Erinnerungen erneut mit Macht über sie herfielen.
Was hatte sie bloß getan, dass sie so etwas Entsetzliches erleben musste?
Als sie sich ihrem Zuhause näherten, einem Hochhaus am Chicago River mitten im Stadtzentrum, wuchs ihre Aufregung. Ihr Puls beschleunigte sich, und sie blickte sich prüfend um, musterte misstrauisch jedes Auto und jeden Fußgänger.
„Fällt Ihnen etwas Ungewöhnliches auf?" fragte Stella, als sie den Wagen vor dem Gebäude anhielt.
„Nein, das nicht. Dennoch ..."
„Ihnen wird jedes Mal der Angstschweiß ausbrechen, wenn Sie gehen oder kommen, zumindest für eine Weile."
„Bis Sie diesen Bastard gefasst und eingesperrt haben."
„Das kann ich nicht, ehe Sie mir nicht irgendwelche Anhaltspunkte gegeben haben. Wenn Ihnen etwas einfällt, zum Beispiel ein Name, lassen Sie es mich wissen. Und ich denke, es besteht kaum das Risiko, dass der Mann sich wieder in Ihre Nähe traut."
Wir sehen uns wieder...
Die Drohung hallte in ihrem Kopf wider, dennoch murmelte Lynn: „Ja, mag sein."
Vielleicht hat Stella wirklich Recht, dachte sie dabei. Vielleicht hat er nur geblufft. Nur zu gern wollte sie es glauben. Sie musste es glauben, wenn sie ein einigermaßen normales Leben führen wollte.
Dennoch ...
Als sie mit Stella das Haus betrat, ertappte sie sich dabei, wie sie unwillkürlich über die Schulter schaute. Am Tisch des Wachmanns blieben sie stehen, und Lynn machte die Polizistin mit Tony Anselmo bekannt, dem Portier der Nachtschicht. Vor ihm auf dem Tisch lag eine Morgenzeitung.
Während Stella dem Wachmann ihre Visitenkarte gab und ihn informierte, dass sie anschließend noch ein paar Fragen habe, registrierte Lynn ungehalten, dass ein Foto von ihr auf der Titelseite prangte. Sie hatte nichts dagegen, auf der ersten Seite zu erscheinen, wenn sie einen Fall gewonnen hatte, sehr wohl allerdings in diesem Fall, da sie das Opfer war.
„Sicher, ich tue alles, was ich kann, damit Sie diesen miesen Kerl dingfest machen", versprach Tony und sah Lynn mitleidig an. „Ich bin nur froh, dass Sie die Sache heil überstanden haben, Miss Cross."
„Danke, Tony", sagte Lynn und eilte hinüber zum wartenden Fahrstuhl.
Sie wollte kein Mitleid. Von niemand. Sie war nicht hilflos. Sie war kein Opfer...
normalerweise.
Während der Fahrstuhl in den achtundzwanzigsten Stock hinauffuhr, holte Stella eine weitere Visitenkarte heraus und kritzelte ein paar Ziffern auf die Rückseite.
„Lynn, ich gebe Ihnen meine Handynummer, nur für den Fall, dass Sie mit mir reden wollen."
Falls ich meinen Entführer sehe, dachte Lynn, als sie die Karte nahm.
Die kurze, aber gründliche Untersuchung ihres Apartments - Wohnzimmer, Schlafzimmer, Bad, Küche und das Büro im ehemaligen Essbereich mit Blick auf den See - dauerte nicht lange. Dann ging Stella.
Und ließ Lynn mit ihren Gedanken zurück.
Von ihrem Schlafzimmer aus hatte sie freien Blick auf den Fluss, und normalerweise beruhigte sie der Anblick. Die Uferwege waren beleuchtet, und eine gewaltige Fontäne ergoss sich in hohem Bogen quer über das Wasser. Weiter östlich war der Navy-Pier mit seinen riesigen Raddampfern und Touristenschiffen zu erkennen. Heute jedoch fand Lynn keinen Trost in der friedlichen Szenerie.
Wie auch, da der Kerl immer noch frei herumlief? Gut getarnt als netter, freundlicher Zeitgenosse. Es konnte praktisch jeder sein.
Ein schriller Ton ließ sie zusammenfahren. Das Telefon. Sie griff danach, zog die Hand aber wieder zurück. Egal, ob am anderen Ende der Leitung ein Reporter oder eine Freundin war, sie mochte im Augenblick keine Fragen beantworten. Nicht jetzt. Sie brauchte Zeit, sich erst einmal zu sammeln, und ließ den Anrufbeantworter das Gespräch annehmen.
„Cross. Guten Tag", hörte sie ihre kühle Anwaltsstimme. „Leider sind wir im Augenblick verhindert und können Ihren Anruf nicht
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