In Liebe, Rachel
Wie konnte sie Paul etwas so Komplexes erklären, etwas so elementar Emotionales, etwas so unglaublich Wichtiges? Sie war sich ganz sicher, dass sie dabei war, in dem verrückten, durchgeplanten Wahnsinn ihres Lebens jemanden zu verlieren.
Und das war nicht Rachel.
Sondern Paul.
Sie begann, in einem engen, ungleichmäßigen Kreis zu laufen. »Paul, wann hast du mich das letzte Mal ausgeführt?«
Seine Stimme klang voll und wütend. »Du wechselst das Thema.«
»Das
ist
das Thema. Es geht um unsere Ehe. Denk darüber nach!«
»Darüber brauche ich gar nicht nachzudenken. Es war vor zwei Wochen. Wir sind zu dem Portugiesen in der Stadt gegangen …«
»… mit deinen Kunden.«
Er starrte sie ärgerlich an. Die Falte zwischen seinen Brauen vertiefte sich. »Wir waren Sushi essen. An unserem Hochzeitstag.«
»Vor sieben Monaten. Und das habe ich geplant. Ich habe den Tisch zwei Monate vor dem Termin reserviert. Den Babysitter engagiert. Den Bus in die Stadt genommen …«
»Willst du auf etwas Bestimmtes hinaus?«
»Ja.« Sie rieb sich über die Stirn, hinter der ein dumpfer Schmerz lauerte. »Ich weiß, dass unser Leben angenehm ist. Und das ist wunderbar.« Und doch hatte sie erst aus einem Flugzeug springen müssen, um zu erkennen, dass etwas nicht stimmte. »Unser Alltag ist so angenehm, Paul, dass ich den schnurgeraden Pfad bis ans Ende sehen kann. Ich sehe uns beide als alte Leute, wie wir am Samstagabend schweigend in der örtlichen
Applebee
-Filiale essen …«
Paul unterbrach sie. »Wer ist das denn, verdammt noch mal?«
Kate drehte sich um. Bubba kam auf sie zugelaufen. Er hatte seinen Sprunganzug abgelegt und sah in T-Shirt und enger Jeans geradezu mager aus. »Hey, Kate!«, rief er. »Das Video ist fertig, und im Hangar warten alle auf dich.«
»Ich komme.«
»Bring deinen Freund doch mit. Wir haben ein paar sensationelle Aufnahmen.«
»Einen Moment noch.«
Bubba warf ihnen einen Blick zu, ging ein paar Schritte rückwärts und joggte dann zurück zum Hangar.
»Ist das Sven?«
»Wie bitte?«
»Mr Universe … der verdreht dir den Kopf.«
»Sei kein Idiot, Paul!«
»Dann geht es um Lola Lipstick, oder? Du schaust mich immer so an, wenn du einen von den Prototypen siehst …«
»Vergiss es!«
Sie wandte sich ab und lief Bubba nach. Paul würde es nicht verstehen, jetzt nicht und auch später nicht, wenn sie ihm ihre Pläne offenbarte.
Fünfzehn Jahre flossen dahin wie Wasser über Kiesel.
»Kate. Kate!«
»Ich muss los.« Dennoch blieb sie stehen, gehalten von der Eindringlichkeit seiner Stimme.
»Kate, hör zu!« Paul packte den Zaun und rüttelte ihn. »Okay, du hast gewonnen.« Er fühlte sich sichtlich unwohl. »Dieses Wochenende kann ich nicht, aber nächsten Samstag gehen wir aus. Ein Date. Nur du und ich. Ich übernehme die Reservierung. Das
Highwood Manor
…«
»Ich habe nächsten Samstag keine Zeit.« Sie gab alle Hoffnung auf, ihm die Wahrheit schonend beizubringen. »Es ist schon alles organisiert. Heute habe ich meine Impfungen bekommen.«
»Impfungen?
Impfungen?
«
»Ich habe bereits deine Mutter angerufen. Sie kommt, um auf die Kinder aufzupassen. Ich habe alles nach deinem Zeitplan arrangiert. Der Kühlschrank wird voll sein, die Wäsche gewaschen, die Langzeitprojekte abgeschlossen, und selbst die Halloween-Kostüme sind bis dahin fertig. Nur für den Fall, dass ich etwas länger bleibe …«
»Länger bleibe …?«
»Paul, als ich zu Rachels Beerdigung gefahren bin, ist mir etwas klargeworden. Es war das erste Mal seit Jahren, dass ich allein weg war, nur mit meinen Freundinnen. Das ist doch erbärmlich. Ich sehe sie nur noch, wenn eine von ihnen stirbt.«
»Du verlässt uns.«
»Mach es nicht so kompliziert, Paul. Ich bin nicht dein Vater. Ich verlasse dich nicht, ich fahre nur in Urlaub. Sarah braucht mich, und ich werde viel von der verlorenen Zeit aufholen. Du brauchst dir nicht mal Sorgen ums Geld zu machen, wir können es uns leisten. Ich werde in der Vorweihnachtszeit in der Mall arbeiten und dort Geschenke einpacken, um für die Kosten aufzukommen …«
»Hier geht es schon wieder um Rachel, stimmt’s? Wenn sie dich dazu bringt, klettern zu gehen oder Base-Jumping …«
»Es hat nichts mit Rachel zu tun. Ich tue das für
uns
.« Kate bohrte einen Fuß in die Erde, drehte sich um und ging geradewegs wieder auf den Zaun zu. Zentimeter vor den Maschen, Zentimeter vor seinem wütenden Gesicht, Zentimeter vor diesen kräftigen Muskeln blieb
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