In Liebe, Rachel
begeistert sein, in einem fremden Hotelzimmer neben einem nigerianischen Waffenschmuggler aufzuwachen.«
Colin lachte.
Und Sarah war verloren.
Kurz darauf glitt Colin in einem der beiden Hotelrestaurants im Erdgeschoss auf einen Barhocker und bestellte einen Sherry. Sarah tat es ihm gleich, denn das war einfacher, als sich ein anderes Getränk zu überlegen. Sie fühlte sich, als hätte jemand die Verbindung zwischen ihrem Gehirn und ihrem Mund unterbrochen.
»Auf alte Freunde.« Colin hob sein Glas. »Und gute Zeiten.«
Sarah nahm einen Schluck. Der Sherry war kräftig und süß und brannte in der Kehle. Sie fühlte Colins Blick auf sich ruhen und spürte heiße, tastende Hände.
»Du hast dich kein bisschen verändert.« Er strich ihr mit dem Daumen über die Nase. »Vielleicht hast du ein paar Sommersprossen mehr.«
Ihr Glas stieß klirrend gegen den Tresen. Sie packte es fester. Er musste sich erinnern. Er hatte einmal versucht, ihre Sommersprossen zu zählen. Die auf ihren Beinen. Er hatte mit seiner Zunge Punkteverbinden gespielt, bis …
Er räusperte sich und stellte sein Glas ab. »Es ist komisch, dich und Sam hier zu treffen.«
»Ja.«
»Auf der anderen Seite … die Welt ist klein, und es gibt nur eine begrenzte Zahl an Hilfsorganisationen. Aber euch beide auf einmal … zusammen …«
»Mmm.«
Würde es so weitergehen? Er und sie, so nahe beieinander, über Nichtigkeiten sprechend, die Stille zwischen ihnen mit Small Talk füllend … nach allem, was zwischen ihnen geschehen war?
»Sarah?« Er blickte ihr in die Augen und wartete einen Moment lang. »Du und Sam – seid ihr ein Paar?«
»Ein Paar?«
»So, wie er dich im Hotelzimmer angesehen hat, dachte ich, dass ihr vielleicht zusammen seid. Aber dann hat er dich weggeschickt.«
»Nein, nein, wir sind nicht … Sam und ich sind nur …« Eine Erinnerung blitzte auf: der See im Regen. »Wir sind nur Kollegen.«
»Die zusammen Urlaub machen«, sagte er in zweifelndem Ton. »In Bangalore.«
»Genau.«
Sie beließ es dabei. Sie brauchte eine ohnehin schon komplizierte Situation nicht noch komplizierter zu machen, indem sie ihm das enervierende Verhältnis offenbarte, das sie und Sam während des letzten Jahres gepflegt hatten, das aus kaum mehr als einem Aufruhr von unerwünschten Gefühlen und, ja, altmodischer körperlicher Anziehung bestand. Jedenfalls hatte es überhaupt nichts mit dem zu tun, was in dieser Bar vor sich ging, jetzt, auf dem Barhocker, Colin gegenüber.
Sarah blickte prüfend in die bernsteinfarbene Flüssigkeit ihres Drinks und wünschte für einen Moment, sie wäre wie Jo: frei und ungezwungen im Umgang mit Männern, mit dem Wissen um die geheime Sprache der Barhockerunterhaltung und der Körpersprache, dem Wissen, wie man die tiefsten Sehnsüchte mit einem Blinzeln, einem winzigen Lächeln, dem Dekolleté oder dem Überschlagen eines nackten Beines übermitteln konnte. Doch auch wenn Sarah Englisch, Spanisch, Guaraní und ein wenig passables Bantu sprach, war sie in dieser Situation so unwissend wie eine Tutsi-Jungfrau, die ihrem Ehemann im Austausch für Kühe, Ziegen und Hacken übergeben wurde.
Bring ihn dazu, über sich selbst zu reden, Süße. Dem kann kein Mann widerstehen.
»Erzähl mir, worum es bei der Konferenz geht«, sagte sie, Jos Stimme im Ohr.
Colin begann, über seine Arbeit zu sprechen. Er wollte einige hochentwickelte chirurgische Techniken präsentieren und demonstrieren, in der Hoffnung, die jungen Ärzte vor Ort könnten sie in den ärmeren Regionen Indiens zur Rekonstruktion von schweren kraniofazialen Missbildungen verwenden. Je länger er sprach, desto bewusster wurde Sarah, dass auch er nervös gewesen war. Seine Schultern entspannten sich. Er gestikulierte mit den Händen, und er trank beiläufiger von seinem Sherry. Er sprach über die Woche, in der er durch das Land gereist war. Er sprach über die Arbeit, die in den folgenden Tagen vor ihm lag. Er erzählte die Geschichte von einem Jungen, den er letztes Jahr bei einer ähnlichen Konferenz operiert und den er jetzt wieder besucht hatte, der aufgeblüht war, weil er zum ersten Mal in seinem Leben feste Nahrung zu sich nehmen konnte, ohne beinahe daran zu ersticken.
Als er verstummte, sagte Sarah: »Du bist ganz schön weit gekommen, seit du Werais Bein im Hinterland von Paraguay zusammengeflickt hast.«
Colin lachte. Eine leichte Röte überzog seine Wangen, und ihr Herz floss über. Er war immer noch so bescheiden wie
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