In Liebe, Rachel
Annas
fürchterlich
langes Haar und wühle mich durch das Chaos im Spielzimmer auf der Suche nach Tess’ verschwundenen Fußballschuhen.«
Durch die Lamellen der Jalousien blickte Kate in den blauen Himmel hinauf, der von hohen weißen Wolken durchzogen war. Als Tess gerade geboren war und Kate sich so schwach, so verletzlich gefühlt hatte, so hilflos, als sie sicher gewesen war, sich nicht um diesen winzigen Säugling kümmern zu können, da hatte Paul sich vor ihren Augen verwandelt. Er hatte seine Hände mit den langen Fingern ausgebreitet und Tess perfekt gehalten. Der kleine Kopf des Kindes lag in seiner Handfläche, und seine Hände hatten nicht wie ihre eigenen gezittert. Damals hatten sie in der Nähe von Malibu gewohnt. Sie war so dankbar gewesen, als er ihr gesagt hatte, dass er für eine Weile mit dem Surfen aussetzen wolle.
War es da geschehen?
Oder damals, als er den Headhunter kontaktiert hatte, der ihm den Job in New Jersey verschafft hatte? Einen Job, der ihm sehr viel mehr Geld einbrachte als ein ums Überleben kämpfendes Start-up-Unternehmen. Er hatte ihn angenommen, obwohl das bedeutet hatte, aus den Jeans zu steigen und sich ein ordentliches Hemd anzuziehen. Die Stelle bedeutete außerdem, dass sie es sich leisten konnten, dass Kate ihren Job aufgab und zu Hause blieb. Die Kinder in Tagesstätten groß werden zu lassen erinnerte Paul allzu sehr an seine wilde, unkonventionelle Jugend in der südkalifornischen Kommune.
Kate schloss die Jalousien wieder. »Ruf Kathy Hayward an. Sie kann Mike mitnehmen. Ihr Sohn ist in seiner Klasse. Die Telefonnummer steht an der Pinnwand.« Sie wandte dem Fenster den Rücken zu und hielt sich den Arm, als wäre ihr kalt. »Nimm recht viel von der Spülung für Annas Haare und wasch sie jeden zweiten Tag. Sag Tess, dass sie bei Hannahs Trampolin nach ihren Schuhen suchen soll – dort verliert sie sie nämlich normalerweise. Und deine Mutter ist aus einem einzigen Grund bei euch: Sie soll das Abendessen kochen.«
»Spaghettikürbis mit Rosinen, Okra-Schoten, vegetarische Lasagne, die nicht mal der Hund essen würde.«
»Es schadet den Kindern überhaupt nicht, wenn sie mal anderes Essen probieren.« Kate schob die Kleider in der Schmutzwäscheecke zu einem Haufen zusammen. »Dann lernen sie mein Essen vielleicht endlich zu schätzen. Und die Welt geht auch nicht unter, wenn sie ein- oder zweimal das Fußballtraining verpassen.«
»Sag das mal Tess!«
»Tess muss es endlich lernen.« Sie trat ein letztes Mal gegen den Kleiderhaufen. »
Vermisst
du mich denn überhaupt nicht, Paul? Stinkt es dir etwa einfach nur, dass deine Hemden nicht gebügelt im Schrank hängen und nicht jeden Abend ein frisch gekochtes Essen auf dem Tisch steht?«
»Ich vermisse eine Partnerin in dieser Ehe.«
»Mir geht’s nicht anders.« Kate ging an der Kommode vorbei, klemmte das Telefon zwischen Wange und Schulter und hob alte Zeitungen und Schokoriegelpapiere auf, warf alles in den Abfalleimer, obwohl sie wusste, dass das Zimmermädchen bald kommen würde. »Den Kindern wird es schon gutgehen mit deiner Mutter …«
»Mit meiner Mutter? Du sprichst von der Frau, die nicht herkommen durfte, als die Kinder noch klein waren? Du hast gesagt, dass sie nach Rauch stinkt. Dass sie zu viel flucht. Sie durften viel zu lange aufbleiben. Meine Mutter hatte nicht auf den Zeitplan geachtet …«
»Du willst gar nicht kommen, nicht wahr?« Kate griff nach zwei Paar Schuhen und schob die Schranktür mit dem Fuß auf. Sie warf die Schuhe auf den Schrankboden, während ihr heiße Tränen in den Augen brannten. »Da hast du die Chance, nach fünfzehn Jahren mal eine Woche allein mit deiner Frau zu verbringen, und du lässt sie einfach an dir vorüberziehen.«
»Sag mir nur eins, Kate: Wird das von jetzt an immer so sein? Du haust einfach ab, wenn dir gerade danach ist?«
»Ich würde lieber abhauen, wenn
uns
danach ist.«
»Du hast nicht ein Mal nach den Kindern gefragt. Ob ihnen das Ganze denn gar nichts ausmacht …«
»Ich bin nicht dein verdammter Vater, Paul. Ich verlasse dich und die Kinder nicht, um auf irgendeinem Berggipfel zu meditieren.«
»Gut. Denn ich will meine Frau zurück. Die, die Verantwortung trägt. Nach dieser Woche weiß ich gar nicht mehr, wer du überhaupt bist.«
Das war zu viel. Kate ließ sich so abrupt auf das Bett fallen, dass es wackelte und quietschte. Sie wartete durch das Knistern in der Leitung hindurch auf eine geflüsterte Entschuldigung, darauf,
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