In Liebe, Rachel

Cinderellas Puffärmel nachzuahmen. Wasser spritzte über die Fliesen und auf den Boden. Jo war hocherfreut über den Frieden. Sie ließ Grace spielen, bis diese sich beschwerte, dass das Wasser zu kalt sei, nahm sie dann aus der Wanne, spülte sie mit warmem Wasser ab und wickelte sie in eines ihrer großen Handtücher. Erst als Grace sich für die Nacht anzog, wurde Jo klar, dass ihre Sammlung von Ruth-Rendell-Krimis mit den blutrünstigen Einbänden nicht gerade die beste Gutenachtlektüre für eine Siebenjährige war.
    Dann fiel ihr Blick auf ein Fotoalbum, das auf dem untersten Regalbrett verstaubte. Sie biss sich auf die Unterlippe und dachte nach. Vielleicht war es eine gute Idee, vielleicht aber auch ein Desaster.
    Vertrau deinem Bauchgefühl!
    O Gott, bitte hilf diesem Kind!
    »Hallo«, sagte Jo, als Grace sich gerade in ihr Nachthemd kämpfte, das blau und seiden war und das sie sich selbst ausgesucht hatte. »Ich dachte, wir könnten vor dem Zubettgehen noch ein Buch lesen.«
    Grace zupfte das Nachthemd zurecht und blickte zu Boden. »Meine Mama hat mir immer
The Poky Little Puppy
vorgelesen.«
    »Nun … das habe ich leider nicht. Auch keine anderen Bücher, die so ähnlich sind. Am besten gehen wir beide morgen in eine Buchhandlung und suchen dir ein paar aus.«
    »Okay.«
    Das schien inzwischen das Lieblingswort des Mädchens zu sein. »Aber ich habe etwas anderes, was dir vielleicht gefallen könnte.«
Tief durchatmen.
»Es handelt von deiner Mutter.«
    Grace erstarrte. »Wirklich?«
    »Ja.« Sie zog das Fotoalbum hinter ihrem Rücken hervor. »Aus der Zeit, als deine Mutter und ich gemeinsam in der Schule waren, lange bevor du auf die Welt gekommen bist. Wir waren beide noch sehr jung. Nicht so jung wie du, aber etwa so wie … Latoya.«
    Jo ließ sich auf dem Fußboden nieder und lehnte sich mit dem Rücken an das Bett. Grace setzte sich neben sie. Das Album öffnete sich mit einem Knacks.
    Es war einmal …
    Es war einmal ein Mädchen, das Rachel hieß. Fit und stark und voller Leben. Sie hatte dieselben Haare wie du, Gracie. Braun, aber ihre lockten sich, wenn sie lang waren. Hier auf diesem Foto sind sie ganz durcheinander, weil Rachel gerade einen Ruderwettbewerb gewonnen hat. Das hier sind sie und ihre Mannschaft, nachdem sie die örtlichen Titelverteidiger geschlagen hatten. Sarah, Kate und ich hatten sie begleitet –
nicht so sehr wegen der seelischen Unterstützung als vielmehr, um die Dartmouth-Typen zu treffen.
Genau, das hier ist Sarah Pollard, sie hat sich überhaupt nicht verändert, oder?
Dieser tadellose Lebensstil! Wie eine Heilige!
Und das hier ist Kate – Mrs Jansen. Kannst du dich an sie erinnern? Sie hat einen Sohn, Michael, der ist etwa in deinem Alter. Das hier ist sie. Was macht denn deine Mom auf dem Bild? Schau … sie trinkt aus dem Siegerpokal. Das ist ein besonderes Spiel, das man spielt, wenn man gewonnen hat.
    Schau, Grace, hier ist noch ein anderes. Hat deine Mutter dir je erzählt, dass sie einen Bergsteigerverein gegründet hat? So haben wir uns alle kennengelernt. Wir waren dem Verein aus verschiedenen Gründen beigetreten. Kate … Mrs Jansen ist ein richtiger Bücherwurm und wollte wohl mal etwas draußen in der Natur machen. Sarah ist aus Vermont und sehr naturverbunden. Sie ist nur durch Zufall dazugestoßen, doch sie blieb, weil wir uns alle so gut verstanden. Ich habe mitgemacht … wegen deiner Mutter. Ich wollte eigentlich zu einem Meeting zukünftiger Unternehmer und bin im falschen Raum gelandet. Deine Mutter und ich sind ins Gespräch gekommen. Sie hat mich überzeugt, beizutreten. Sie sagte, dass ich ein Mensch sei, der ab und zu auf einem Berggipfel stehen sollte.
    Des Überblicks wegen.
    Einen Augenblick, Gracie, ich habe was im Auge.
    Schau, hier sind wir alle zusammen, wie wir eine glatte Felsnase in den Shawangunks hinaufklettern. Da ist Kate. Sieht sie nicht aus wie eine Cheerleaderin aus Texas? Wir lachen alle so, weil das Klettergeschirr in ihren Hintern einschneidet. Sie hat Talkumpuder an den Händen, um einen besseren Griff zu haben. Wenn du genau hinsiehst, kannst du Sarah auf dem Gipfel sehen, sonnengebräunt, der Himmel im Hintergrund ist rosafarben. Und schau dir das hier an, Grace. Das ist deine Mutter, wie sie uns alle umarmt. Wir haben an dem Abend über dem Feuer braune Bohnen gekocht. Sie waren so verbrannt, dass wir sie mit dem Messer vom Topfboden schneiden mussten.
    Schau dir die Berggipfel an!
So viele Fotos. Viele