In Liebe, Rachel
Sarah-Belle! Wenn du aus L. A. zurückkommst, will ich keine Heldengeschichten mehr hören. Du weißt, dass eine Beziehung zu einem Mann nicht nur aus Leidenschaft und roten Rosen besteht oder aus Sex mit brüllenden Tigern vor der Lehmhütte. Man muss auch die andere Seite der Medaille in Kauf nehmen. Ich will wissen, ob er schnarcht oder ob er die Handtücher auf dem Badezimmerboden liegen lässt. Ich will wissen, in welcher Stimmung er nach einer Wurzelbehandlung ist …«
»Oder wie er reagiert, wenn er sich Waffenschmugglern und einem Kofferraum voll medizinischen Materials gegenübersieht«, schaltete Kate sich ein.
Jo stieß einen anerkennenden Pfiff aus. »Mann, ich habe tatsächlich was verpasst.«
Sarah umfasste fröstelnd ihre Oberarme. »Das Leben wäre viel einfacher gewesen, wenn mein Vater mich an diese Beduinen verkauft hätte, als ich zwölf war.«
»Und ich weiß gerade genug über deine Eltern, dass mich diese Geschichte erschreckt. Los, wir besorgen dir einen Flug nach L. A.«
Sarah folgte Jo blind zu den Ticketschaltern, während Kate dem Gepäckträger ein Trinkgeld gab und ihren Koffer selbst schleppte. Während sie in der Schlange standen, musterte Jo Sarahs Baumwollrucksack. »Ich vermute, dass du darin all deine weltlichen Besitztümer verstaut hast?«
»Pass, Kleider, ein paar Rupien.«
»Nicht genug für ein Flugticket, vermute ich.«
Daran hatte Sarah nicht gedacht. Sie hatte einen Großteil ihres Bargeldes in Bangalore ausgegeben, und sie hatte über die Jahre unbekümmert so viele Kreditkarten überzogen, dass sie schließlich darauf verzichtet hatte, überhaupt eine ihr Eigen zu nennen. Sie überlegte einen Moment und sagte dann: »Ich könnte anrufen …«
»Nein, du rufst niemanden an.« Jo steckte sich das Headset ans Ohr. »Ich kümmere mich darum.«
»Jo, du hast doch schon …«
»Nicht der Rede wert.« Sie schob Sarah zum Ticketschalter, während sich Kate knurrend mit ihrem Gepäck abmühte. »Bei der Hochzeit will ich dann aber die Brautjungfer sein.«
»Hey!«, schaltete sich Kate ein. »Das ist mein Job!«
»Und versprich mir noch etwas, Sarah-Belle.« Ein seltsamer Ausdruck huschte über Jos Gesicht. »Versprich mir, mir zu erzählen, ob es das Risiko wert war, wenn du zurückkommst … wenn du überhaupt zurückkommst.«
»Natürlich ist es das wert, Jo.« Sarahs Kehle war rauh und trocken. »Vielleicht … ist die Liebe jedes Risiko wert.«
Sarah war froh, dass sich Jo um alles gekümmert hatte. Sie hatte einen Fahrer organisiert, der Sarah in L. A. am Flughafen abholte, einen schlanken jungen Mann in einem dunklen Anzug. Er fuhr sie zu einem
Best
-
Western
-Hotel, das nach Patschuli roch. Jo hatte das Zimmer im Voraus bezahlt. Geld ebnete einem immer den Weg, doch Sarah hätte solchen Luxus für sich nicht akzeptiert, wenn sie nicht zwanzig Stunden damit verbracht hätte, um die halbe Welt zu fliegen.
Lieber Himmel, Sarah! Wenn du zu ihm fährst, dann sagst du ihm im Grunde, dass du seine Kinder austragen willst. Triff dich ja nicht mit müden Augen und stinkend wie eine Kuh mit ihm.
Sarah fühlte sich ein wenig schuldig, als sie am nächsten Morgen aus dem Hotel auscheckte und in einen verbeulten, zwanzig Jahre alten Volkswagen stieg, der von einem alten Freund aus Corps-Zeiten gefahren wurde. Er verbrachte gerade einige Monate mit sieben weiteren Kumpels in einem gemieteten Haus in Venice Beach und surfte. Sarah hielt es für eine gute Gelegenheit, ein paar Tage abzuschalten und nach Antworten zu suchen, ohne den Einfluss und die Erwartungen anderer Menschen.
Die Tage, die sie an weißen Sandstränden verbrachte – wo sie sich viel zu schick und viel zu bleich fühlte –, mit den Zehen in der Brandung, zeigten ihr eine grundlegende Wahrheit: Die Beziehung zu Colin hatte immer nur in
ihrer
Welt stattgefunden, in der ländlichen Einsamkeit des kleinen Dorfes in Paraguay und letzte Woche im Chaos von Bangalore. Jo hatte vermutlich in zwei Sekunden herausgefunden, wofür sie selbst zwei Tage gebraucht hatte. Colin hatte sie gebeten, nach L. A. zu kommen, um zu sehen, ob ihre Beziehung in
seine
Welt verpflanzt werden könnte.
Los Angeles. Ein seltsames Dorf voller gebräunter Blondinen und Männer mit definierten Bauchmuskeln. Unglaublich breite, saubere Straßen, die sich in alle Richtungen erstreckten und auf denen glänzende neue Autos fuhren. Wenn in Gatumba jemand über die Straße liefe und mit sich selbst spräche, würden ihn die
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