In Liebe, Rachel
Aufmarsch der Blondinen und die Anzeigen für Anti-Aging-Cremes in der
Vogue,
und allmählich dämmerte ihr eine neue und abschreckende Bedeutung des Ausdrucks »rekonstruktive Chirurgie«.
Colin stand unterdessen wie ein Soldat mit dem Rücken zum Fenster und beobachtete sie, bis er den ersten Schimmer der Erkenntnis auf ihrem Gesicht wahrnahm.
»Colin, ich verstehe das nicht.« Sarah verstärkte den Griff um die Rückenlehne.
»Ich weiß. Aber vielleicht verstehst du es, wenn ich es dir erkläre.«
Sie brachte keinen Ton heraus.
»Alles begann in Paraguay, mit Werai und der Operation an seinem Bein.«
Während der sechsstündigen Operation, bei der sie assistiert, die sie ehrfürchtig beobachtet hatte, hatte sie Colins kompromissloses Bedürfnis nach Erfolg gespürt, das in Wellen von ihm ausgegangen war. Auch sie war von dieser Leidenschaft erfasst worden und hatte sich in ein primitives sexuelles Verlangen hineingesteigert, das ihr völlig unbekannt war.
»Ich war so stolz, dass ich Werais Bein retten konnte.« Colin griff nach einem kleinen schwarzen Lederball auf der Schreibtischplatte und drückte ihn in der Hand zusammen. »Ich war auch stolz, dass du alles gesehen hattest. Doch als die Wochen vergingen und Werai allmählich wieder gehen lernte, sah ich, wie verstümmelt das Bein war, wie grob meine Arbeit gewesen war, trotz aller Mühe.«
»Colin … es ist ein Wunder, dass er überhaupt überlebt hat.«
»Vielleicht. Aber ich hätte es besser machen müssen.«
Sarah erinnerte sich an Colins wachsende Frustration in den Wochen nach der Operation. Sie hatte sie seinem überwältigenden Wunsch zugeschrieben, die Lebensumstände für die Dorfbewohner zu verbessern. Seine Frustration hatte sich auf andere Dinge übertragen. Er begann, sich über zu spät gelieferte Vorräte oder über den Widerstand der Dorfbewohner gegen die Masernimpfung zu ärgern. Sie hatte immer wieder gesagt: »
Tranquilo
, immer mit der Ruhe. Werai ist am Leben und kann laufen.
Tranquilo
. Der Nachschub wird schon kommen.« Colin aber konnte nicht – wie so viele Corps-Mitglieder – akzeptieren, dass man einfach nicht alles zu ändern vermochte. Das hatte ihn von den anderen unterschieden. Sarah hatte seine überschäumende Energie und seinen unbändigen Willen bewundert.
»Ich hatte mir bewiesen, dass ich etwas ändern kann, aber es war eine dilettantische Veränderung. Meine chirurgischen Fähigkeiten waren noch rudimentär.« Er öffnete die Faust und balancierte den Lederball auf der Handfläche. »Ich wollte mehr, als einfach nur ein Leben retten oder Gliedmaßen zusammenflicken. Ich wollte, dass dieser Körperteil nach meiner Operation wieder so vollkommen wie vor dem Unfall war. Deshalb habe ich Paraguay verlassen, Sarah. Ich bin in die Staaten zurückgekehrt und habe zwei Jahre als Assistenzarzt in der plastischen Chirurgie gearbeitet. Ein weiteres Jahr habe ich mich in der kraniofazialen Chirurgie ausgebildet. Und dann …« Er drückte den Ball abermals zusammen. »Es war ein Weg, der sich vor mir erstreckte. Ich habe einen Schritt nach dem anderen gemacht – jeder führte ein kleines bisschen weiter nach oben. Dann schaute ich mich um und fand mich plötzlich hier wieder.« Er lachte freudlos auf. »Nasenkorrekturen und Wangenimplantate.«
»Und Kiefergaumenspalten«, ergänzte Sarah, »bei Kindern, deren Gesichter so missgestaltet sind, dass sie kaum essen können.«
»Zwei Wochen im Jahr. Auf Trainingsvergnügungsreisen, bei denen ich drei Viertel der Zeit an der Bar verbringe und ein Viertel im OP .« Er legte den Ball zurück auf den Schreibtisch und verschränkte dann die Hände im Rücken. »Es sieht dir ähnlich, mehr daraus zu machen, als es ist. Diese Fähigkeit habe ich immer an dir geliebt.«
Liebe.
»Das ist der Unterschied zwischen uns: Du hast dich nicht verändert, Sarah.« Er trat einige Schritte auf sie zu, blieb jedoch neben seinem Schreibtisch stehen und strich mit den Fingern über die glänzende Tischplatte. »Als ich dich im Hotel in Bangalore gesehen habe, dachte ich, du wärest vom Himmel gefallen. Da war ich plötzlich wieder in der Wildnis, brachte die neueste medizinische Technologie ins Hinterland, fühlte mich wieder so wie früher, als wir jung waren und für das Corps arbeiteten. Fühlte mich wieder großzügig – als ob ich mit den zwei Wochen in Indien wirklich ein Opfer brachte. Als ob ich in der Welt wirklich etwas bewirken könnte, wenn ich die Gesichter von ein paar
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