In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition)
erhielt und es an wesentlichem Nachschub mangelte.«
»Aber es gibt doch Kinder.« Knut dachte an die Fußspuren, die er am Betonmischer im Schnee gesehen hatte. Vielleicht gab es bei all den Geschichten ja auch mal eine Pause, in der er die vorsichtige Frage stellen konnte, ob er mit einigen der Kinder sprechen dürfe.
Der Dolmetscher goss Wodka in beide Gläser und leerte seins in einem Zug. »Der Beschluss, die Kinder wegzuschicken, wurde nach einigen Monaten teilweise revidiert. Einige bekamen die Erlaubnis, mit ihren Familien hier zu leben … so wurden die Loyalen belohnt.« Er seufzte und schloss die Augen, aber nur, um sie einen Moment später wieder zu öffnen. »Die Vorgeschichte dauert zu lange, Chnuet, und die Zeit ist knapp. Ich komme gleich zu dem Tag vor dem Grubenunglück 1997.
Am Abend zuvor gab’s ein kleines Fest in der Arbeiterkantine. Die Arbeitsverträge vieler Bergarbeiter liefen demnächst aus, sie würden die Insel verlassen – einige für immer, andere nur für den Urlaub. Einige Veteranen hörten ganz auf, Leute, die viele Jahre auf Spitzbergen gewesen waren. Ivan Sergejewitsch nahm an dem Fest teil, ich auch. Außerdem eine Gruppe von Arbeitern, die kurz darauf die Nachtschicht antreten mussten. Aber das Unglück, das sich einige Stunden später ereignete, hatte nichts mit dem Fest zu tun. Kein Arbeiter der Nachtschicht war betrunken. Ich erzähle dies, um zu zeigen, dass niemand in Barentsburg stirbt, ohne dass es Konsequenzen für andere hat.
Wie Sie wissen, liegen die Kohleschichten, die den Abbau lohnen, in Barentsburg sehr tief, über vierhundert Meter unter der Erde. Einige Stollen führen bis unter die Gebäude, aber Sie haben wahrscheinlich gesehen, dass die alten Tagebaueingänge eingestürzt sind und in einem verfallenen Gebiet der Siedlung liegen. Der Transport der Kohle erfolgt heutzutage durch die moderne Tagesanlage vor dem Gebäude mit den neuen Toren. Mit elektrischen Lokomotiven und Loren. Weiter unten in der Grube gibt es Stollen … Sie wissen, was das ist? Die Schächte für den Transport und die Ventilation führen durch den Berg, der Abbau passiert an den Kohleschichten, und der Abtransport geschieht auf Bändern. Aber es ist teuer, den Stein zu schlagen …
1993, nach Glasnost, übernahm eine andere Art von Administration den Kohlebergbau hier in Barentsburg. Der Betrieb auf Spitzbergen sollte sich lohnen. Dass man die Anzahl der Hauptschächte von drei auf zwei reduzierte, war der erste Fehler, der begangen wurde.«
Knut hatte keine Ahnung vom Bergbau in Barentsburg, wollte aber nicht nach Details fragen. Der Dolmetscher schätzte ihn offenbar als aufmerksamen Zuhörer, nur kam ihm die Geschichte des Grubenunglücks schon jetzt unnötig lang und detailliert vor.
»Was war eigentlich die Ursache des Unglücks? Das fragen Sie sich wahrscheinlich. Wir in Barentsburg haben eine etwas andere Methode als in Longyearbyen und in der alten Kings Bay, um die Kohle aus der Grube zu holen. Die Wände, an denen die Kohle geschlagen wird, liegen höher als die Schächte mit den Transportbändern. An diesen Stellen werden die vertikalen Durchlässe gesprengt, die Schächte, eng wie Schornsteine. Die Kohle wird bis zu diesen Löchern gebracht und auf die Transportbänder gekippt. Am frühen Morgen des 23. September 1997 war man gerade dabei, einen solchen Schornstein zu sprengen, den Schacht 6.
Schließen Sie die Augen und stellen Sie sich das Bild vor, Chnuet. Am späten Abend sind die Kumpel unterwegs zu den Grubentoren. Einige fahren mit dem Bus, andere kommen zu Fuß. Viele waren bei dem Abschiedsfest in der Kantine, haben sich zugeprostet und gesungen. ›Heute ist dein Tag, Donbas, heute kannst du feiern‹ ebenso wie die bekannten Lieder ›Korobejniki‹, der Hausierer, oder ›Podmoskovnyje Vetsjera‹, Abende vor Moskau. Sicher waren Sie schon mal auf einem russischen Fest und haben diese Lieder selbst gesungen.
Auch Vanja war bei dem Abschiedsfest und hat mit seinem schönen tiefen Bass mitgesungen. Damals war er Steiger der Nachtschicht. Seit Wochen hatte er sich beschwert, dass sie keine schriftlichen Arbeitsanweisungen bekamen. Die Bergleute mussten selbst herausfinden, was sie machen sollten. Aber so war das. Im Bergwerk gab es nicht genug Leute, es sollte ja gespart werden. Außerdem waren viele der erfahrensten Bergleute bei dem Flugzeugunglück im Jahr davor ums Leben gekommen, und man hatte sie nicht ersetzt.
Vanja sollte Kohle bei Stoß 28 abbauen,
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