In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition)
der in einem anderen Teil der Grube lag als Schacht 6. Nach der Explosion rettete er sein eigenes und das Leben vieler seiner Kumpel. Er kroch mit einem Tau durch den engen Schacht, damit die Arbeiter, die sich im Transporttunnel befanden, hinaufgezogen werden konnten. Viele von ihnen waren bereits tot, einige schwer verletzt. Einer überlebte, aber er erblindete. Vanja hat sich einfach heldenmütig verhalten.
Die Menschen in Barentsburg erwachten an einem neuen Morgen, und viele wussten nichts von der Tragödie. Die ersten Stunden nach dem Unglück mochten sie nicht glauben, dass so etwas Furchtbares geschehen war. Die Bevölkerung schrie nach Informationen, Informationen … verzweifelt versuchten sie, etwas in Erfahrung zu bringen. Wer war unter Tage, wer kam als Leiche heraus? Wie konnte es zu diesem fürchterlichen Unglück kommen?
Es stellte sich heraus, dass die letzte Sprengung am Schacht 6 die Explosion verursacht hatte. Bei den Sprengungen unter Tage werden zwei Sorten von Sprengstoff verwendet, M-Deto nitt und T-19-Amonitt. Ersteres hat eine gewaltige Sprengkraft mit einer großen Flamme und wird verwendet, wenn Stein gesprengt werden muss. Das andere wird für die Kohle eingesetzt und dort, wo Methangas sein könnte. An diesem Morgen wollte man den schwächeren Sprengstoff benutzen, aber in Barentsburg gab es kaum noch T-19-Amonitt, weil man die Produktion auf dem Festland eingestellt hatte. Deswegen waren die Preise gestiegen, und man wollte ja Kosten sparen. Außerdem hatten die Grubenarbeiter keine schriftlichen Anweisungen. Sie arbeiteten, wie sie wollten, und entschieden, von oben in den Transportband-Schacht zu sprengen, wo sich viel Kohlenstaub angesammelt hatte. Sie wissen sicher, dass man Kalk ausstreuen muss, um zu verhindern, dass der Kohlenstaub in die Luft wirbelt. Aber in der Grube gab es so gut wie keinen Kalk, er war vom Festland nicht geschickt worden …«
Der Dolmetscher fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht, als müsse er seine Gedanken ordnen. »Die letzte Sprengung an diesem Morgen öffnete den Schacht und traf auf eine Einkapselung von Methangas. Die Flamme entzündete den aufwirbelnden Kohlenstoff … nicht nur an einer Stelle unter Tage, sondern an vielen … noch drei Kilometer vom ersten Explosionsort entfernt starben Arbeiter. Männer, die vor der ersten Explosion flüchten konnten, wurden von Druckwellen brennender Luft eingeholt. Einige erstickten am Karbonmonoxid, das sich bei der Verbrennung bildet. Es gab nur eine kleine Anzahl Sauerstoffmasken. Vanja und sein Rettungstrupp gingen Stollen für Stollen ab, um nach Überlebenden zu suchen. Aber sie fanden nur tote Kumpel.
In der Siedlung bebte die Erde. Das unterirdische Dröhnen der Explosionen, tief wie Trommeln, weckte viele Menschen in Barentsburg. Wir verstanden schnell, dass der schlimmstmögliche Fall eingetreten war. Ich selbst habe den Regierungsbevollmächtigten angerufen und um Hilfe aus Longyearbyen gebeten. Und die Norweger kamen – zunächst mit Rettungsgeräten und ihren Krankenschwestern, dann mit ihren Beamten und der Arbeitsaufsicht. Und als der Bericht über das Grubenunglück endlich fertig war, wissen Sie, was da passiert ist?«
Knut hatte den Eindruck, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als den Kopf zu schütteln, obwohl er eine ungefähre Ahnung hatte, worauf der Dolmetscher mit seiner Geschichte hinauswollte.
»Gar nichts, Herr Polizeibeamter Fjeld, es passierte überhaupt nichts. Es wurde keine Anklage gegen den Trust erhoben, es wurde nicht einmal sonderlich viel bemängelt. Alles wurde plötzlich ganz still. Hätte man nicht darauf hinweisen sollen, dass schriftliche Arbeitsanweisungen vorliegen müssen, damit niemand einen Fehler macht? Die Bergleute wussten doch gar nicht, was sie tun sollten. War unter Tage Kalk nicht Vorschrift, um ihn über den Kohlenstaub zu verteilen? Und waren nicht auch Sauerstoffmasken für jeden einzelnen Arbeiter vorgeschrieben? Hätte nicht der richtige Sprengstoff vor Ort sein müssen, und hatte die Leitung nicht dafür Sorge zu tragen?
1963 musste die damalige norwegische Regierung wegen eines Grubenunglücks zurücktreten, bei dem im Herbst 1962 einundzwanzig Arbeiter in Ny-Ålesund getötet wurden. Aber fünfunddreißig Jahre später, 1997, kam es zu keinem Skandal. Obwohl dreiundzwanzig Russen bei einem Unfall starben, der durch sehr viele Fehler und Verletzungen der Sicherheitsvorschriften ausgelöst wurde. Was sagen Sie dazu, Polizeibeamter Fjeld?
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