In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition)
1997 viele Schächte zerstört hat. Es ist nicht mehr weit.«
Knut empfand eine geradezu feierliche Dankbarkeit, dass der Dolmetscher stehen geblieben war und ihm erklärt hatte, wo sie sich befanden.
»Danke, Georgi.«
»Nenn mich Gosja.«
Der Dolmetscher richtete sich ein wenig auf, winkte dem Russen hinter ihnen und übernahm die Führung am Rand des unterirdischen Sees. Der bleiche, stämmige Mann grinste, gleichzeitig höhnisch und unterwürfig.
Alle drei hielten sich eng an der Wand, gingen langsam und vorsichtig, hin und wieder leuchteten sie mit den Taschenlampen ins Wasser. Plötzlich bekam Knut von dem Russen hinter ihm einen Stoß in den Rücken, dass er beinahe gefallen wäre. Der Russe zeigte auf etwas und leuchtete ins Wasser. Unweit des Rands verschwand der Boden in einem steilen Abhang. Der See musste tief sein, sie liefen im Kohlenstaub über einen schmalen Grad. Der Russe grinste und machte Schwimmbewegungen. Knut heftete sich an die Fersen des Dolmetschers.
Auf der anderen Seite des unterirdischen Saals wurden die Stollen enger, beinahe unwegsam. Hin und wieder mussten sie über Gesteins- oder Kohlebrocken klettern, die den Durchgang versperrten. An anderen Stellen drückten sie sich an verworrenen Haufen mit Leitungen und Eisenstangen, zersplittertem Holz und zerstörten Loren vorbei. Endlich sah Knut weit voraus Licht und meinte, Stimmen zu hören.
Sie verließen den engen, eingestürzten Stollen und kamen in einen weit größeren und breiteren Raum, in dem mehrere Stollen aufeinandertrafen. An einer Wand stand eine kleine Hütte aus grauen Holzbrettern. Es war der alte Pausenraum, in dem die Grubenarbeiter vor langer Zeit in der Mitte der Schicht ihr Pausenbrot gegessen hatten.
Vor der verfallenen Hütte standen altmodische Karbidlampen in einem weiten Halbkreis um eine Gruppe Männer und ließen sie größer erscheinen, als sie waren – und bedrohlicher. Etwa zwanzig Bergleute, alle mit verschmierten, schmutzigen Gesichtern und in voller Arbeitsmontur. Knut bemerkte, dass er schwarze Kohleflecken an den Händen und vermutlich auch im Gesicht hatte. Es ließ sich nicht vermeiden, wenn man sich unbewusst kratzte oder den Schweiß von der Stirn wischte.
Die kleine Gruppe Arbeiter hatte einen Anführer, allerdings fiel er im ersten Moment nicht auf. Ein sehniger Mann mit einem gelben Helm und ebenso abgetragener Arbeitskleidung wie die anderen. Als er die drei Neuankömmlinge sah, ging er ein paar Schritte auf sie zu und gab den Blick auf den Bergwerksdirektor frei. Neben ihm standen zwei Funktionäre, alle drei trugen normale Mäntel. Direktor de Rustin sah erschöpft aus, bleich und mitgenommen.
Er kam ihnen eilig entgegen und zog Knut und den Dolmetscher mit zu den Bergleuten. Der Dolmetscher übersetzte. »Hier, seht selbst … Knut Fjeld, ein Beamter aus dem Büro der Regierungsbevollmächtigten, ist aus Longyearbyen gekommen, um uns bei den Untersuchungen zu Ivan Sergejewitschs Todesfall zu unterstützen. Ich gehe doch hoffentlich zu Recht davon aus, dass diese Tatsache eine gewisse Beruhigung für euch ist. Er ist unparteiisch und hat mit unseren Konflikten hier in Barentsburg nichts zu tun. Wir alle müssen akzeptieren, was er im Zusammenhang mit dem Unfall herausfindet.«
Der Anführer der Bergleute unterbrach den Direktor. Er drehte sich um und sprach Knut direkt an. »Wir verlangen, dass für uns Russen die gleichen Regeln gelten wie für norwegische Bergleute. Es muss untersucht werden, ob es sich wirklich um einen Arbeitsunfall handelt oder ob Vanja ermordet wurde. Er hätte die bevorstehenden Entlassungen hier in Barentsburg verhindern können. Das wusste der Direktor …«
Diesmal unterbrach der Direktor. »Beschuldigst du mich etwa des Mordes, Igor Grigorowitsch?« Er senkte die Stimme zu einem tiefen, drohenden Flüstern. »Das lasse ich mir nicht bieten. Du überschreitest erheblich deine Grenzen. Leg Beweise vor … oder du kannst packen und mit dem ersten Schiff aufs Festland fahren – ohne Lohn oder Prämie.«
Obwohl die Männer in leises Protestgemurmel ausbrachen, war es offensichtlich, dass die Drohung des Direktors den Anführer erschreckt hatte. Er wandte sich noch einmal an Knut. »Ist es nicht so, dass auf Spitzbergen alle Arbeitsunfälle untersucht werden müssen? Steht das nicht sogar im Spitzbergen-Vertrag? Es muss doch für einen russischen Arbeiter möglich sein, berechtigte Zweifel zu äußern, ohne deswegen gleich bestraft zu werden.«
Der Direktor
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