In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition)
dem Hotel hatte blitzschnell reagiert. Nach kurzem Nachdenken musste Knut verlegen zugeben, dass der Russe Recht hatte. Wie konnte er einen derartigen Fehler begehen? Er hatte nicht nachgedacht, ein Moment der Gedankenlosigkeit. Wahrscheinlich wäre es gut gegangen, moderne Kameras waren sicherlich nicht mehr so gefährlich wie die älteren Typen mit den großen Blitzlampen; vermutlich gab es inzwischen Mechanismen, um Funkenbildung zu verhindern. Aber dennoch, man konnte nie wissen. Er hätte selbst daran denken müssen, dass sich große Mengen Methangas in dem eingestürzten Teil der Grube befinden könnten.
Im vergangenen Jahr hatten sie in Longyearbyen in einem Kidnapping-Fall ermittelt und in den Grubenanlagen der Store Norske nach einem kleinen Mädchen gesucht, das aus dem Kindergarten der Siedlung verschwunden war. Dabei hatte Knut mehr als genug über die Explosionsgefahr in Bergwerken erfahren. Er wünschte sich, nicht zu wissen, wie eine Grubenexplosion sich entwickelte – Feuerwalzen, die mit mehreren hundert Stundenkilometern durch die Stollen rollen, Temperaturen von einigen tausend Grad, Schockwellen, die Trommelfelle sprengen und Lungen zerfetzen, die Luft gefüllt mit Karbonmonoxid, das sämtliche Arbeiter tötet, die keine Kohlestaubfilter oder Sauerstoffmasken tragen.
Der Russe hatte ihm vollkommen zu Recht die Kamera aus der Hand geschlagen. Aber wer war er? Was gab ihm die notwendige Autorität, sich so selbstsicher zu benehmen?
Die Bergleute hatten den Streik beendet. Nun mussten die zahlreichen Barrikaden abgebaut werden, die sie im modernen Teil der Grube errichtet hatten. Bewusst beschädigte Kohlehobel waren zu reparieren, große Haufen mit Steinen aus dem Weg zu räumen. Daher sollten der Dolmetscher und Knut allein an den eingestürzten Schächten bis zum Mundloch zurückgehen. Der Direktor blieb, um zu überwachen, dass die Aufräumarbeiten ohne Verzögerung durchgeführt wurden.
Man kann ihm vieles vorwerfen – Zynismus, Ehrgeiz, hin und wieder wohl auch Ausbeutung der Arbeiter , dachte Knut, aber mutig ist er jedenfalls. Und loyal gegenüber seiner Gesellschaft auch.
Sie kehrten auf demselben Weg, den sie gekommen waren, zum Verwaltungsgebäude zurück, mit gekrümmten Rücken und schmerzenden, gebeugten Nacken. Der Dolmetscher ging voran. Knut folgte mit der Taschenlampe, er versuchte, den unebenen Boden vor ihnen zu erleuchten. Er spürte die Einsamkeit wie ein Gewicht, außerdem sahen die langen Schatten auf der Kohle so furchtbar fragil aus. Wenn irgendetwas passierte und sie verschüttet würden, ein plötzlicher Einsturz der vielen Tonnen Stein aus der Decke, würde man sie vermissen? Könnte irgendjemand sie rechtzeitig ausgraben?
»Wer ist der Russe, der uns aus dem Hotel abgeholt hat?«
Der Dolmetscher blieb stehen und drehte sich um. »Grigótovit? Er ist Bergmann, kam letzten Sommer vom Festland. Außerdem ist er verantwortlich für das Treibhaus und den Stall, meist kümmert er sich darum.«
Knut blieb ebenfalls stehen und richtete sich so weit wie möglich auf. Er hatte eine Stelle gefunden, an der der Stollen etwas höher war. »Was pflanzt ihr denn an? Und gibt es noch immer Tiere im Stall?«
»Nicht mehr so viele wie früher.« Der Dolmetscher schien außer Atem zu sein, unwillig. »Ein bisschen Gemüse, Tomaten, Gurken, Paprika, aber im Augenblick ist so gut wie nichts mehr da. Im Stall sind auch keine Tiere mehr. Früher gab es Kühe und Ochsen. Jetzt haben wir nur noch ein paar Hühner und ein Schwein. Eigentlich sollen sie zu Weihnachten geschlachtet werden, der weiße Eber auch. Aber Grigótovit liebt dieses fette, fiese Schwein. Die Leute behaupten, es würde mit mehr vom Festland importierten Kartoffeln, Karotten und Kohl gefüttert, als die Küche der Arbeiterkantine bekommt, um eine Suppe zu kochen.«
»Stallknecht ist ja nicht gerade eine der einflussreichsten Positionen in Barentsburg, oder? Wieso lassen sich die Leute so viel von ihm gefallen?«
Der Dolmetscher zuckte die Achseln. »Er war schon immer so. Außerdem hat er Verbindungen … aber das musst du nicht unbedingt wissen.« Er drehte sich um und ging weiter die endlosen Stollen entlang. Schritt für Schritt kamen sie der frischen Luft und dem Nachthimmel näher.
Zurück im Hotelzimmer ließ Knut sich angezogen aufs Bett fallen und fiel sofort in einen tiefen Schlaf. Sein letzter Gedanke galt der Aussicht, dass er am nächsten Morgen zurück nach Longyearbyen fliegen sollte.
KAPITEL 11
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