In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition)
waren dabei, Barentsburg zu verlassen.
Knut griff zu seinem Handy, ehrlich erleichtert, es zurückzuhaben. Dieses Gespräch war wichtig, es war einer der Gründe, warum er in der russischen Bergarbeitersiedlung geblieben war. Er rief die Privatnummer des Polizeichefs auf, machte sich nicht einmal die Mühe, sich zu melden. »Die Fischkutter, sie laufen aus, ich habe es vom Hotelfenster aus gesehen.«
»Knut? Du rufst früh an … gestern Nacht war es spät. Ah ja, sie laufen aus? Das kommt nicht ganz unerwartet. Die Küstenwache glaubt, sie haben einen neuen Treffpunkt vereinbart.«
»Ein anderes Schiff kommt den Fjord herauf. Wahnsinnig groß, ich glaube, das ist das größte Schiff, das ich je auf Spitzbergen gesehen habe.«
Tom räusperte sich, seine Stimme klang heiser. Knuts Anruf hatte ihn geweckt. »Ist es ein Fischereischiff? Zwei der Fabriktrawler, die die Küstenwache nördlich von Spitzbergen unter Kontrolle hatte, sind heute abgehauen. Angeblich sind sie auf dem Weg Richtung Süden. Könnte es einer von ihnen sein?«
»Man kann von einem Hotelfenster nicht alles sehen. Du hast mich gebeten, dich sofort anzurufen, wenn die kleinen Fischerboote auslaufen, die hier vertäut lagen, und das habe ich getan.« Knut konnte sich den etwas angespannten Ton nicht verkneifen. Dann riss er sich zusammen und berichtete so kurz wie möglich, was Ljudmila ihm erzählt hatte.
Am anderen Ende der Leitung blieb es einen Moment still. »Das hört sich nicht gut an, Knut. Wir hier in Longyearbyen glauben, wir hätten einen gewissen Überblick über die Vorgänge auf Spitzbergen, tja, und dann stellt sich heraus, dass wir nicht mal wissen, was sich in Barentsburg abspielt, nur ein paar Meilen entfernt.« Der Polizeichef hörte sich nachdenklich an. »Wird Zeit, dass wir dich abholen. In ein paar Stunden kommen wir mit dem Super-Puma rüber. Du kannst dich darauf einstellen, dass du heute Vormittag mit uns zurückfliegst. Wenn du zurück im Büro bist, gehen wir deine Informationen im Zusammenhang mit dem Todesfall durch. Es muss schon einiges zusammenkommen, bevor wir die Sondereinheit der Kripos holen, um in Barentsburg zu ermitteln, aber in diesem Fall sieht es so aus, als hätten wir keine andere Wahl.«
Das Gespräch war vorbei. Die Batterieanzeige war auf einen Strich gefallen. Wer war ›wir‹, wer würde mit dem Helikopter kommen? , überlegte Knut. Und wieso? Tom flog nie nach Barentsburg, ohne dazu gezwungen zu sein.
Knut trat wieder ans Fenster. Das unbekannte Schiff legte gerade an. Menschen aus der Siedlung versammelten sich am Kai – schwarze, diffuse Schatten in dem fahlen Licht der Straßenlaternen. Das Schiff war wahnsinnig groß, oberhalb der Wasserlinie mindestens sechs Decks bis zu einer enormen Brücke. Er versuchte die Länge zu schätzen, es mussten mehr als vierhundert Meter sein. Die Höhe konnte er unmöglich bestimmen, vielleicht vierzig Meter? Das Schiff ragte hoch über dem Kai auf. Erstaunlicherweise sah aber nicht das Schiff so unwirklich aus. Sondern Barentsburg wirkte neben diesem schwimmenden Monstrum eher wie eine Theaterkulisse.
Die beiden Fischkutter waren nicht zu sehen. Vermutlich waren sie auf dem Weg in den Grønfjord. Knut war nervös, er wollte hinunter zu diesem Schiff, obwohl er wahrscheinlich von seinem Hotelfenster die bessere Aussicht hatte. Wenn er nichts anderes herausfand, konnte er sich zumindest den Namen und den Heimathafen notieren, in dem dieses Monsterschiff registriert war. Merkwürdig, dass niemand ihm vom Eintreffen dieses Schiffs erzählt hatte, spektakulär genug war es doch. Es musste unangekündigt passiert sein, selbst für die Führung in Barentsburg.
Knut zog sich rasch an und folgte den anonymen Schatten, die sich die Treppen hinunter zum Kai bewegten. Es herrschte ruhiges, klares Wetter. Frostschwaden stiegen vom Meer wie wogende Nebelsäulen auf. Ein schwacher Wind trieb den Frost über das Land, verwischte einen Augenblick die Silhouetten des kolossalen Schiffs und der Menschen, die sich um die Poller und Festmacher versammelt hatten. Noch hatte man keine Gangway ausgelegt. Nur ein einziger Matrose zeigte sich hin und wieder an Deck. Oben auf der Brücke gingen Schatten in dem schwachen Licht hinter den Bullaugen auf und ab. Ein Mann stand mit einem Fernglas vor den Augen auf dem Brückenflügel.
Der Lärm der Dieselmotoren war ohrenbetäubend. Obwohl Knut einige Russen wiedererkannte, die um ihn herumstanden, waren ihre Kommentare unmöglich zu
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