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In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition)

In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition)

Titel: In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica Kristensen
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saß als Gastgeber in der Mitte. Er hieß die Besucher willkommen und sprach über Ivan Sergejewitsch Makanin.
    Knut hörte nicht zu. Er fühlte sich leer, es war ihm vollkommen gleichgültig. Es hatte ein wenig geholfen, die eigene Kleidung wieder anzuziehen, obwohl sie zerknittert war und vom Salzwasser weiße Ränder hatte. Dennoch sah er aus wie ein norwegischer Polizeibeamter. Rasiert hatte er sich nicht, schon der Gedanke, in Barentsburg auf die Suche nach Rasierzeug zu gehen, war ihm zuwider. In gewisser Weise fühlte er sich sowohl von den Kollegen aus dem Büro der Regierungsbevollmächtigten wie von den Russen abgekoppelt.
    Die Regierungsbevollmächtigte musste reden. Knut starrte auf den Tisch – wie furchtbar würde es? Es kam nicht so schlimm. Anne Lise Isaksen war im Laufe der fünf Jahre, die sie auf Spitzbergen verbracht hatte, als Regierungsbevollmächtigte und Mensch gewachsen, sie hatte sich von einer uninteressierten Sachbearbeiterin zu einem aufrichtigen Mitmenschen entwickelt. Sie tat nicht so, als hätte sie Ivan Sergejewitsch gekannt, und verlor sich auch nicht in allgemeinen Floskeln. Sie redete über das Leben in der Einöde, über die Gefahren, die sich nicht vermeiden ließen bei einer Tätigkeit als Bergarbeiter, über Todesfälle, die die wenigen Einwohner auf den Inseln unweit des Nordpols verband. Gleiche Schicksale, ob man nun Norweger oder Russe war. Die gemeinsame Liebe zur Arktis.
    Knut sah sich vorsichtig nach Oksana um. Er entdeckte sie näher, als er gedacht hatte. Sie saß neben dem Direktor, trug ein schwarzes Wollkleid und hatte das Haar zurückgekämmt. Sie war so blass, dass sie durchsichtig zu sein schien. Ihr Blick war auf die Tischdecke geheftet. Er schloss die Augen, er musste mit ihr reden, bevor sie Spitzbergen verließ. Er sah ein, dass er froh sein müsste, wenn sie verschwand. Auf dem Festland wäre sie sicher … doch ein ausgesprochen unangenehmer Gedanke nahm nach und nach Gestalt an. Würde noch jemand aus Barentsburg an Bord der »Krasin« sein?
    Ljudmila servierte am Haupttisch, ging von einem zum anderen, schöpfte rubinroten Borschtsch auf die Teller, bot die Sahne an. Knut überlegte, wie sie das schaffte. Als sie zum zweiten Mal an Knut vorbeiging, flüsterte er ihr zu, dass er gern mit Oksana Aleksandrovna reden würde.
    Ljudmila schüttelte den Kopf. »Oksana fühlt sich nicht wohl. Sie muss mit den wenigen Kräften, die sie noch hat, haushalten.«
    Knut sah selbst, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Oksana aß so gut wie nichts, pulte ein hartgekochtes Ei, rührte die Suppe aber nicht an.
    Nur einige wenige Menschen fanden in der Kapelle Platz: Oksana, der Konsul, der Bergwerksdirektor und Igor Grigorowitsch, der Anführer der Arbeiter. Darüber hinaus die Gäste aus dem Büro der Regierungsbevollmächtigten. Knut zog es vor, mit den Bergleuten und den übrigen Einwohnern auf dem Platz stehen zu bleiben. Der Pastor aus Longyearbyen sollte eine kurze, ökumenische Zeremonie abhalten, da die Zeit nicht gereicht hatte, um einen orthodoxen Priester aus Murmansk zu holen.
    Erst die Schläge der Kirchenglocke, dann leise Stimmen, die in der Kapelle die Messe lasen. Die Menge auf dem Platz war still. Es knirschte im Schnee, wenn sich jemand die Füße vertrat, der eine oder andere hustete. Auch Schniefen und Weinen war zu hören. Knut sah sich um, Ljudmila stand bei einer Gruppe Frauen. Es sah aus, als würde sie frieren. Sie hatte sich in eine dicke Kolotjoska-Jacke eingewickelt, die sie mit beiden Armen an den Körper presste. Über das korngelbe Haar hatte sie eine Mütze tief ins Gesicht gezogen. Jekaterina stand bei ihr und umarmte sie.
    Der Dolmetscher zeigte sich an der Tür der Kapelle. Er winkte den sechs Bergleuten, die die verantwortungsvolle Aufgabe hatten, den Sarg die gesamte Treppe hinunter zum Kai zu tragen. Langsam und ganz leise begann einer nach dem anderen in der Volksmenge zu summen. Knut erkannte das ukrainische Lied Heute ist der Tag dein, Donbas … nun kannst du ausruhen.
    Die Türen der Kapelle wurden geöffnet, der einfache Holzsarg vorsichtig herausgetragen. Dem Sarg folgten als Erste Oksana und der Bergwerksdirektor. Sie hing an seinem Arm, fror und zitterte in ihrem langen, schwarzen Mantel. Danach kamen der Pastor und die Regierungsbevollmächtigte Isaksen, der Polizeichef, der Gewerkschaftsführer und der Dolmetscher. Dann folgten alle anderen: Bergleute, Küchenpersonal, Frauen, einige Kinder. Eine lange Reihe dunkler

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