In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition)
um zu sehen, wie der Eisbrecher den Grønfjord verließ. Der Zeitpunkt zum Auslaufen der »Krasin« war gekommen.
Knut rannte die Leiter hinunter, um Anne Lise Isaksen und den Polizeichef noch zu erreichen, er erwischte sie auf dem Weg vom Hauptdeck. Atemlos erstattete er Bericht. »Ihr müsst etwas tun«, sagte er. »Könntet ihr nicht über den Helikopter Kontakt mit der Küstenwache aufnehmen? Die ›Andenes‹ muss der ›Krasin‹ den Weg abschneiden, bevor sie in russisches Fahrwasser kommt. Die Frachträume sind voll mit Kabeljau aus der Barentssee.«
»Das ist so unverfroren, dass mir die Worte fehlen«, erwiderte der Polizeichef. »Du musst den Konsul damit direkt konfrontieren, Anne Lise. Wusste er davon? In einem derartigen Fall verspreche ich, dass es ein Nachspiel haben wird …«
»Und die Beweise?« Die Regierungsbevollmächtigte schüttelte den Kopf, offensichtlich entsetzt. »Wie können wir es dokumentieren? Wenn es jemanden tröstet, so glaube ich nicht, dass Dima eine Ahnung von den Dingen hat, die sich hier unmittelbar vor unseren Augen abspielen. Er ist ein Karrierediplomat. In so etwas würde er sich nie hineinziehen lassen.«
Die drei norwegischen Beamten blieben an der Gangway stehen – so enttäuscht, dass sie sich nicht einmal ins Gesicht sehen mochten. Der Dolmetscher kam dazu und erklärte, alles wäre jetzt bereit zum Abflug des norwegischen Hubschraubers, aber keiner von ihnen hatte die Kraft, jetzt aufzubrechen. Auch die Russen hatten es nicht eilig. Der Kai war voller Menschen, die den Kopf in den Nacken legten und verfolgten, was an Bord des Forschungsschiffes vor sich ging.
Die Seeleute der »Krasin« lösten die Trossen, alle bis auf eine, die von Bord geworfen werden sollte, wenn die Gangway eingeholt war – die letzte Verbindung zwischen dem Eisbrecher und der russischen Bergarbeitersiedlung. Alle Reden waren gehalten, der Direktor ging auf dem Hauptdeck umher. Er sprach mit den Offizieren, stolz über den gelungenen Ablauf der Zeremonie. Der Konsul trat am Kai verärgert von einem Fuß auf den anderen; er fühlte sich nicht genügend beachtet und war irritiert, dass der Direktor nicht von Bord ging.
Endlich sah es so aus, als wäre der Direktor fertig. Er grüßte den Kapitän militärisch, das Schiffhorn heulte langgezogen und so laut, dass Knut sich die Ohren zuhalten musste. Die »Krasin« war klar zum Ablegen.
Oben auf der Brücke waren Schatten zu erkennen, die auf und ab gingen. Der Steuermann kämpfte verzweifelt, um den enormen Eisbrecher am Kai zu halten. Starke Unterströmungen hatten den Kiel erfasst. Der Eisbrecher riss an der noch verbliebenen Trosse und dem dünnen Tampen, der die Gangway an ihrem Platz hielt.
Der Kapitän trat auf den Brückengang und grüßte noch einmal die Bevölkerung mit der Hand an der Mütze. Der Direktor der Zeche hatte endlich begriffen, dass alle nur darauf warteten, bis er das Schiff verließ. Er ging die nun schwankende und vibrierende Metalltreppe hinunter.
Knut beobachtete ihn, zunächst vollkommen desinteressiert. Aber … dann sah es so aus, als sei irgendetwas nicht in Ordnung. Eine Gestalt in einer russischen Jacke, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, löste sich aus der Menge der Zuschauer, stellte sich an die hintere Trosse und schien auf etwas zu warten. Eine Welle schob die »Krasin« langsam nach vorn, das Schiff bewegte sich einige Meter, das grobe Tau war einen Moment nicht mehr ganz so straff. Die dunkle Gestalt hob die Trosse über den Poller. Jetzt hielt nur noch der dünne Tampen die Gangway. Es dauerte nicht lange, knapp eine Sekunde. Dann rutschte sie mit einem scharfen Schrammen vom Kai.
Ein Matrose auf Deck holte die Gangway mit dem Kran ein – in dem Glauben, der Tampen sei mit Absicht gelöst worden. Er gab dem Steuermann ein Zeichen, der die Heck-Thruster mit voller Kraft hochfuhr. Die »Krasin« glitt vom Kai, drehte sich sachte um neunzig Grad. Der kolossale Propeller arbeitete sich durch die Wassermassen, schäumte sie auf zu einem Mahlstrom aus weißem Schaum.
Knut war ein paar Schritte vorgetreten, er stand direkt an der Kante des Kais. Was ist denn da los? , dachte er. Fast wäre die Gangway ins Wasser gefallen.
Dann sah er den verzweifelten Kampf des Bergwerksdirektors, der sich an der Gangway festklammerte, den Halt verlor und in die schäumenden Wassermassen stürzte. Knut starrte den Kai entlang, wollte nicht glauben, was er gerade gesehen hatte. Er bekam kein Wort heraus.
Nach einer
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