In meinem kleinen Land
Barrique-Keller. Winzer ist ein anstrengender, aber schöner Beruf, weil er mit Genuss zu tun hat. Danach zurück ins Baumhaus.
Mannheim. Proaktiver Klinsmann
16. Mai 2006
Für mindestens drei Deutsche, darunter zwei Lehmanns, ist heute ein besonderer Tag. Da ist erstens: Kardinal Lehmann. Wird siebzig Jahre alt. Ich höre irgendjemanden morgens im Fernsehen sagen, der Kardinal sei ein «ganz großer Christ». Dies legt den Umkehrschluss nahe, dass es auch ganz kleine Christen gibt. Also unbedeutende Christen im Vergleich zum bedeutenden Kardinal. Zweifellos ist Lehmann sehr bekannt und sogar populär. Aber macht ihn das zu einem wichtigeren Menschen? Ist das in Jesus Sinn, dass man von «großen Christen» spricht?
Der andere berühmteste Lehmann Deutschlands firmiert als «ganz großer Torwart» und muss morgen im Finale der Champions League mit Arsenal London gegen den FC Barcelona spielen. Was der wohl gerade macht, angesichts seiner Chance, den sportlichen Olymp zu erklimmen? Wenn er, wie schon in der ganzen Champions-League-Saison, wieder kein Tor kassiert, wird man ihn zum besten Torwart der Galaxie ausrufen.
Der dritte Deutsche, für den ein großer Tag ist, heißt Jürgen Klinsmann. Der präsentiert heute in seiner Eigenschaft als Fußballkanzler Deutschlands den Kader für die nahende Weltmeisterschaft. Vor einigen Wochen hat ihn der als Torwarttrainer ausgemusterte Sepp Maier einen Schleimer genannt. Der nicht nominierte Spieler Wörns hieß Klinsmann sogar einen Lügner. Der Vorwurf der Unaufrichtigkeit haftet nicht erst seitdem an Klinsmann. Aber er könnte Erfolg haben. Und dem hat sich alles unterzuordnen.
Jürgen Klinsmann gehört zu der modernen Kaste von Managern, die man jetzt überall in großen und manchmal kleinen deutschen Unternehmen findet und die ihre Aufgaben als «Challenge» bezeichnen, die andere ununterbrochen «motivieren» und «mitreißen» wollen, die vor allem «fun» bei der «performance» sehen möchten, aber in Wirklichkeit herzlos und kalt nichts anderes propagieren als Elitenbildung. Der kluge Heiner Geißler sagt: «Eliten bringen keine humanistischen Konzepte hervor.» Und so ähnelt die Berufung der Nationalelf letztlich der Rekrutierung von Soldaten für das höhere Ziel des Sportmanagers Klinsmann und seiner blendend aussehenden Big-Jim-Kollegen Bierhoff und Löw. Der Einzige, der noch so etwas wie Erdung ausstrahlt, ist der Torwart-Trainer Köpke. Das liegt allerdings nur daran, dass er öfter in Trainingsanzügen zu sehen ist als der Rest der fußballerischen Leitungsebene . Der enge Kreis ventiliert immerzu «Philosophien» und propagiert ständig den irrsinnigen proaktiven Spaß, den das alles mache. Die Nationalmannschaft kommt mir schon jetzt vor wie das Führungskräfteseminar eines mittelständischen Unternehmens.
Ich fahre nach Mannheim, wo heute der Weltmeisterpokal ausgestellt wird. Ein paar tausend Mannheimer dürfen ihn ansehen, danach geht es ins Stadion, wo die deutsche Mannschaft gegen den Angstgegner aus Luckenwalde antritt. Ich bekomme leider keine Karte mehr, ist schon lange ausverkauft.
Mannheim kann sich sehen und hören lassen. Es hat eine sehr aktive Musikszene und die einzige Popakademie Deutschlands, wo teilweise illustre Lehrer den Studenten nicht nur beibringen, wie man singt und komponiert, sondern auch, wie man Musik vermarktet. Die Kunst ist nun einmal wie alles andere heute in erster Linie ein Produkt. Genau wie der Sport und sogar die Politik.
Ich wandere gemeinsam mit bildungsfernen Schichten durch die Innenstadt, deren Bebauung im siebzehnten Jahrhundert in Blöcken angelegt wurde, was die womöglich einzige Gemeinsamkeit Mannheims mit New York ausmacht. Der damalige Kurfürst Friedrich IV. von der Pfalz wollte damals eine ordentliche Stadt haben, was ihm auch zunächst gelang. Die Häuserblöcke wurden Planquadraten gleich benannt, und die entsprechenden Adressen finden bis heute Verwendung. Mein Hotel liegt in «N6,3». Liest sich wie Schiffeversenken. Und tatsächlich sollen die Amerikaner mit Mannheim etwas Ähnliches vorgehabt haben, wenn man der Heimatchronik glauben darf, die ich in einer Buchhandlung durchblättere. Dort steht nämlich, dass die Amerikaner 1945 erwogen hatten, die später in Hiroshima abgeworfene Atombombe über Mannheim auszuklinken.
Mannheim bei Sonnenschein entfaltet einen ziemlich unwiderstehlichen Charme. Das wissen auch die Menschen aus Ludwigshafen, die bloß über eine Brücke laufen
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