In meinem kleinen Land
müssen, um dem Elend ihrer eigenen Gemeinde zu entfliehen. Selbst aus Heidelberg kommen die Leute zum Einkaufen, heißt es hier nicht ohne Stolz.
Nur in einem Punkt ist Mannheim ein wenig verstockt. Zur Vierhundert-Jahr-Feier der Stadt wird es keine Sonder-Briefmarke der Post geben. Die Stadt sei nicht alt genug. Vierhundert Jahre sind aber auch wirklich ein Scherz gegen die tausend von Fürth oder Bamberg oder Saarbrücken. Das muss man einsehen. Es wird, wie ich dem «Mannheimer Morgen» entnehme, nächstes Jahr Briefmarken zu Ehren von Astrid Lindgren (hundert, aber aus Schweden), dem Wankelmotor (fünfzig, aber schnell kaputt) und Karl Valentin (einhundertfünfundzwanzig, aber aus Bayern) geben. Mannheim muss hingegen bis 2607 warten. Aber dafür spielt die deutsche Fußballnationalmannschaft heute HIER gegen Luckenwalde.
Saarbrücken. Isch habe Vertrag
17. Mai 2006
Ich muss bei dieser Gelegenheit die Stadt Saarbrücken, womöglich das ganze Saarland, um Vergebung bitten. Ich hatte ein falsches Bild von euch. Als nie dort Gewesener nahm ich an, das ganze Bundesland sei eine bankrotte Industriebrache mit von Säure zerfressenen Wäldern und kahlen Bergen und Tosa-Klausen. Man hört ja so viel Trauriges aus der Gegend. Sie sei strukturschwach, arm und bräche bald vom Südwesten Deutschlands ab. Saarbrücken hielt ich für so etwas wie Gelsenkirchen ohne Erstligaverein. Ich bin tief beschämt, denn: Hier ist es wirklich sehr schön.
Die Fahrt von Mannheim nach Saarbrücken weckt bereits Begeisterung, wenngleich der Zug plötzlich mitten in der Landschaft zum Stehen kommt wie ein Touristenbus auf Fotosafari. Es strecken aber keine Giraffen ihre riesigen, um Nüsse nachsuchenden Zungen ins Fenster. Tatsächlich passiert gar nichts. Es passiert eine lange, lange, laaaange Zeit gar nichts, beinahe hat man sich an den Stillstand gewöhnt. Man liest bereits wieder im Feuilleton der FAZ, ist schon wieder gelehriger Zaungast der sogenannten Debattenkultur, als es in den Lautsprechern knackt und eine Männerstimme folgenden ungelenken Satz tonlos formuliert: «Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Fahrgäste, unser Zug ist unvermutet stehen geblieben. Äh. Wir sagen Bescheid, wenn wir wissen, warum.» Ende der Durchsage. Unvermutet, aha. Das macht nicht nur neugierig, das macht auch Angst. Immerhin sorgt der Mann von der Bahn für eine gewisse Erheiterung bei der Kundschaft. Eine Weile später setzt sich der Zug wieder in Bewegung, und der Herr teilt mit, es habe sich um eine «Signalstörung» gehandelt. Signalstörung. Was mag das wohl sein? Womöglich nur eine Phrase, so etwas wie eine «allgemeine Verkehrskontrolle».
In Saarbrücken spürt man die Nähe zu Frankreich. Nicht nur dadurch, dass in der Stadt recht viele Autos mit französischen Kennzeichen unterwegs sind. Es sind auch die Platanen, es ist auch das Licht, es ist auch die Saar, die mir französisch vorkommt und ruhig vor sich hin fließt. Sie kann auch ganz anders. Dann kommt das Wasser die Vogesen heruntergeschossen, und es setzt Überschwemmungen. Im Augenblick jedoch ist sie friedlich und schlängelt sich durch die Stadt. Ich gehe vom Hotel kommend am Schloss vorbei über die Alte Brücke, vorbei am Tifliser Platz, wo nicht nur das Theater steht, sondern gegenüber auch Oskar Lafontaines frühere Wirkungsstätte, die Landesregierung. Wie süß. Man hat dort Schwalben auf die Fenster geklebt, damit die Vögel nicht gegen die Scheiben fliegen. So putzig ist das im Saarland.
Oskar Lafontaine ist übrigens nirgends zu sehen. Nichts erinnert hier an ihn, mal abgesehen von der «sch»-Chwäche der Menchen hier. Ist übrigens schwer zu imitieren, das Saarländische.
Zu meiner großen Überraschung entdecke ich dann aber Spuren des anderen großen Saarländers, nämlich Erich Honeckers. Es ist bloß ein winziges Detail im Stadtbild, und wenn man es gezielt sucht, findet man es wahrscheinlich nicht. Daher hier für Sie die genaue Lagebezeichnung: Am Straßenübergang Disconto-Passage und Betzenstraße steht eine Fußgängerampel mit original DDR-Ampelmännchen!
Saarbrücken hat alles, was eine Stadt braucht, um kuscheliges Flair zu verbreiten: eine schöne Altstadt, ein Schloss, Kirchen, Museen. Nur eines hat es nicht: urbanen Lifestyle. Uuuaah. Und der soll nun kommen. Man beabsichtigt, an der Berliner Promenade einen neuen, schicken Stadtkern zu etablieren. Hunderttausende von Saarbrückern sollen dort einkaufen und Milchkaffee saufen, von
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